Um Piaggio Aerospace aus den Turbulenzen zu helfen, hatte das italienische Verteidigungsministerium 2019 schon einmal rund 700 Millionen Euro freigegeben, welche die Beschaffung von 9 Maschinen des Typs P.180 EVOs und P.1HH-Drohnen umfassten. Der jetzt Anfang Oktober 2021 gesprochene Betrag von 171 Millionen Euro ist für das in Konkursverwaltung stehende Unternehmen für den Erwerb von weiteren 6 P.180 Avanti EVOs und die Triebwerkswartung sowie die Aktualisierung von 19 Maschinen, die sich in der italienischen Luftwaffe befinden, bestimmt.

Die Lieferung umschliesst auch einen Full Flight Simulator (FFS) und zudem soll ein Teil des Geldes in den Bereich Triebwerkswartung, ein Zweigbetrieb des Flugzeugbaus fliessen. Das gilt unter anderem für die Wartung der Viper-Triebwerke für die Jets der Aermacchi MB-339PAN, die zur Patrouille Frecce Tricolori gehören.

Rückblende

Wäre Piaggio Aerospace so erfolgreich wie die autonome Sparte des Fahrzeugbaus gleichen Namens, müsste man sich keine Sorge machen. Heute ist Piaggio Group Inhaber von acht Kernmarken, dazu gehören neben Vespa unter anderem auch Puch, Aprilia und Moto Guzzi. Dabei war die Firma, die einst von Enrico Piaggio gegründet wurde, bis Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Luftfahrtsektor sehr erfolgreich. Unter anderem wurde dort auch Dornier-Flugboote (Wal) in Lizenz gefertigt.

Bekannte Typen der Nachkriegszeit waren das von etlichen Luftstreitkräften genutzte einmotorige Schulflugzeug Piaggio P.149 und das leichte zweimotorige Mehrzweckflugzeug Piaggio P.166. Im Jahr 1998 wurde die Flugzeugbausparte von Piaggio in ein eigenes Unternehmen mit dem Namen Piaggio Aero Industries ausgegliedert. Seither fanden mehrere Besitzwechsel statt. Seit 2014 ist das Unternehmen im alleinigen Besitz der Mubadala Development Company und wurde in Piaggio Aerospace umbenannt. Am Flughafen Genua Albenga begann 1986 dort der Serienbau des Geschäftsreiseflugzeug Avanti, nachdem er in der Vergangenheit schon als Werksflugplatz genutzt worden war, wo unter anderem die Piaggio P.149 auch für die Swissair (5 in Italien und 7 bei Focke-Wulf in Bremen) gefertigt wurden.

Das Drei-Flächen-Konzept

Die P.136 und P.166 waren mit ihren Druckpropeller-Konstruktionen so etwas wie die Vorläufer für die späteren Avanti, deren Voruntersuchungen in einem alten Holz-Windkanal im Werk am Aeroporto Albenga erfolgreich durchgeführt wurde. Piaggios Ingenieure wollten damals etwas vollkommen Neues schaffen.  

Die P.180 basiert auf dem «Drei-Flächen-Konzept». Das Grundprinzip des sogenannten Three-Surface-Aircraft TSA besteht darin, dass der für die Herstellung eines statischen Längsmomentengleichgewichts erforderliche Abtrieb am Höhenleitwerk ganz oder zu grossen Teilen durch einen Auftrieb am Canard ersetzt werden kann. Dadurch steigert sich der verfügbare getrimmte Gesamtauftrieb und es besteht die Möglichkeit durch geeignete Verteilung der Lasten den induzierten Widerstand zu minimieren. Das Flugzeug erreicht für Propellermaschinen relativ hohe Geschwindigkeiten bei gegenüber vergleichbar grossen Flugzeugen mit Jetantrieb geringerem Treibstoffverbrauch, was sowohl an der optimierten Aerodynamik als auch an den sparsameren Turboprop-Triebwerken liegt.

Kurz vor dem Verkauf

Mit mindestens 5,3 Mio Dollar für eine neunsitzige Geschäftsreisemaschine mit Jet-Eigenschaften kann man den Piaggio Avanti nicht unbedingt als Schnäppchen bezeichnen. Nun aber versucht die italienische Regierung – wohl zum letzten Mal – durch den neuen Auftrag eine Finanzspritze zu geben, um weiteren Schaden für das Traditionsunternehmen zu vermeiden. Immerhin steht die Übernahme-Verhandlungen für einen neuen Käufer kurz vor dem Abschluss. Vincenzo Nicastro, Sonderverwalter von Piaggio Aerospace bestätigte, dass das Unternehmen kurz davor sei, einen Käufer zu finden.