Allierte Flugzeuge bombardierten gegen Ende des Zweiten Weltkrieges unablässig die zurückweichenden Truppen der Deutschen Wehrmacht, auch strategische Ziele, vor allem Eisenbahnanlagen, auch in der Nähe der nördlichen Schweizer Grenze. Dazu kam es bis zum «Victory Day» zu zahlreichen Luftraumverletzungen, 491 Einflüge konnten den alliierten Luftflotten zugeschrieben werden. Darunter ein Vorkommnis, das  im Februar 1945 das Bauerndorf Otelfingen erschütterte.

Luftangriff auf Güterzug mit Weintankwagen

Es war nicht viel los am kleinen Bahnhof Otelfingen am Nachmittag des 22. Februar 1945. Der Stationsvorstand Adolf Dürst aus Lintthal war mit seinen Leuten damit beschäftigt, einen Güterzug zusammenzustellen. Es handelte sich dabei um 51 leere Weintankwagen der Genfer Firma Blenk & Fert, welche schon seit längerer Zeit auf dem stillgelegten Gleis der eingestellten Bahnlinie Otelfingen-Niederhasli-Bülach standen (diese Bahnlinie diente bereits mehrfach als Kulisse von Spielfilmen). Die Wagen sollten zur Überprüfung ihrer Lauffähigkeit nach Schlieren gebracht werden. Kurz vor 14 Uhr wurden die ersten Wagen auf das Gleis 4 des Bahnhofs gebracht. Während die Lokomotive die restlichen Wagen holte, waren Güterarbeiter Moser und Dürst mit dem Beschriften der ersten Wagen beschäftigt, als plötzlich Schüsse und Projektile einschlugen. Bevor sie  wussten, was ihnen geschah, sprangen sie unter die Wagen, – dann war der Spuk bereits vorbei. Sie sahen nur noch ein steil aufsteigendes Flugzeug, das sich mit einem in sechs bis achthundert Metern Höhe fliegenden Verband vereinigte und dann Richtung Limmattal abdrehte. 22 Wagen wiesen insgesamt 59 Einschüsse auf, verletzt wurde niemand. Bahnhofvorstand Dürst gab später auf dem Polizeiposten Schlieren zu Protokoll: «Der Vorfall spielte sich derart überraschend und schnell ab, dass ich nach überwundenem Schreck nur noch froh war, mit dem Leben davon gekommen zu sein». Im Polizeiprotokoll sind auch die Aussagen von Landwirt Theodor Surber vermerkt, der im Zeitpunkt des Luftangriffs sein Feld pflügte und die Attacke beobachtete. Seine Pferde gingen mit dem Pflug durch, wobei sich dieser überschlug und teilweise in Brüche ging.

Langwierige finanzielle Abklärungen

Nun nahmen die Schadenersatzforderungen ihren langen Weg durch die Instanzen. Am 23. Mai 1946 wurde eine auf Englisch gehaltene Rechnung unter dem Titel «Swiss bombing claims against US» von  Vertretern der Zürcher Direktion des Innern und der kantonalen Gebäudeversicherung abgestempelt. Der reklamierte Betrag für den beschädigten Pflug belief sich auf 260 Franken, die Reparatur der Eisenbahnwagen kam auf 28'242 Franken. Die amerikanische Regierung übernahm die Verantwortung, obwohl die Herkunft des Jagdbombers nicht einwandfrei nachgewiesen werden konnte und sicherte die Zahlung der angemeldeten Schäden zu. Wann und ob dieser Betrag ausbezahlt wurde, ist aus den Dokumenten im Bundesarchiv nicht ersichtlich.

Wer hat den abgestellten Zug angegriffen?

In den Akten gibt es nur wenige Hinweise über die wirkliche Herkunft der Flugzeuge. Man hatte nur festgestellt, dass es Flugzeuge eines amerikanischen Typs gewesen seien, Augenzeugen glaubten sogar, das Hoheitszeichen an der Seite gesehen zu haben. Nach den heute zur Verfügung stehenden Informationen ist es jedoch unwahrscheinlich, dass es sich bei den Flugzeugen um solche einer amerikanischen Einheit gehandelt hatte, denn US-Jagdbomber waren zu dieser Zeit gar nicht im süddeutschen Raum operativ. Vielmehr ist davon auszugehen, dass es sich um eine französische Einheit handelte, die der First Tactical Air Force (provisional) unterstellt war und den Vormarsch der 1ère Armée française unter General De Lattre de Tassigny unterstützte. Auch wenn es heute kaum mehr möglich ist, herauszufinden, um welche Einheit es sich handelte, war der Angreifer auf jeden Fall mit einem Flugzeug vom Typ Thunderbolt unterwegs. Mit diesem Typ waren die in Frage kommenden französischen Einheiten im Frühjahr 1945 alle ausgerüstet und zur bewaffneten Aufklärung eingesetzt. Wegen ihren acht schweren 12,7 mm Maschinengewehren und den beiden 250 kg-Bomben unter den Flügeln waren diese Jagdflugzeuge bei den Eisenbahnern sehr gefürchtet.

Verbitterung bei eidgenössischen Regierungsstellen

Auch wenn der Angriff auf einen Güterzug in Otelfingen noch glimpflich ablief, lösten die späteren Bombenabwürfe auf Rafz und bei Stein a/Rhein mit 16 Toten und 28 Verletzten verständlicherweise einige Verbitterung bei der Bevölkerung und der Regierung aus. Genugtuung entstand, als Fliegerpatrouillen der Schweizer Flugwaffe  eine B-17 und eine Consolidated B-24 Liberator abschossen, die Flab holte am 4. Februar 1945 bei Chiasso sogar eine P-47 Thunderbolt vom Himmel. Vermutlich aus Versehen hatten amerikanische Jagdbomber den Bahnhof von Chiasso mit Maschinengewehr-Salven belegt, ein Lokomotivführer kam dabei ums Leben. Daraufhin wurden zwei 20mm Fliegerabwehr-Batterien in Stellung gebracht. Als dann erneut amerikanische Thunderbolts zu einem Angriff ansetzten, eröffneten beide Batterien das Feuer. In einem dieser Jagdbomber wurden Treffer beobachtet und er stürzte zirka 3 km südwestlich von Chiasso, bei Parè/Italien ab. Das Schicksal des Piloten blieb ungeklärt.

Die verstärkten Proteste nach den Bombardierungen der Städte Basel und Zürich führten zur Einberufung von General Spaatz, dem Oberbefehlshaber der US-Luftstreitkräfte in Europa, nach Bern. In einer geheimen Konferenz wurden neue Sperrzonen entlang der nördlichen Landesgrenze vereinbart, in denen alliierte Flugzeuge nur unter besonderen Voraussetzungen klar als deutsch erkannte Ziele angreifen durften (80 Km-Streifen für Bombardierungen durch Bomber, 16 km-Streifen für Jagdbomber-Angriffe).

Quellen: Kuno Gross, Commemorative Air Force; Swiss Wing, Hans Günter, Otelfingen, Ortsgeschichte Otelfingen, Seite 289, redigiert durch Alfred Güller, Bundesarchiv. Anmerkung der Redaktion: Kuno Gross und Rudolf Meier beschrieben in einem Buch die Bombenangriffe auf die Brücken von Koblenz; auch hier waren Thunderbolts mit französichen Piloten beteiligt.