In diesem zweiten Beitrag unter dem Titel «KISS Safety Management - auch für die General Aviation?  Möglich? Notwendig? Übertrieben?» diskutieren wir die Frage, was am Anfang von (Flight) Safety steht und warum die persönliche Resilienz ein entscheidender Erfolgsfaktor ist.

Was steht am Anfang eines erfolgreichen Safety Managements?

Change, Continuous Improvement, Resilience – Diese Schlagworte sind momentan in aller Munde. Wir wollen agil sein. Und dabei natürlich möglichst resilient und ausserdem flexibel auf jede Veränderung reagieren können. Was im normalen Alltag noch als «nice to have» gilt, muss im Cockpit – und zwar egal ob Airline oder Privatflugzeug – als absolute Notwendigkeit angesehen werden.

«Alles, was wir in der Luftfahrt wissen, jede Regel im Regelwerk, jedes Verfahren, das wir haben, kennen wir, weil irgendwer irgendwo starb…» Cpt Chesley Sullenberger

Die professionelle Luftfahrt gilt heute zu Recht als eine der sichersten und effizientesten Industrien, weil sie es wie kaum eine andere Branche geschafft hat, aus Rückschlägen zu lernen. Entscheidend ist der unbändige Wille, sich stets zu verbessern, kombiniert mit einer moralischen Verpflichtung, eben nicht zu vergessen.

Die «Lessons Learned» werden konsequent aufgelistet. Verfahren, Techniken und Prozesse werden laufend angepasst. Manchmal geschieht das relativ lautlos in der Operation, manchmal braucht es dafür aber auch grössere, verändernde Projekte. Die Akzeptanz bei allen Beteiligten ist dafür aber immer gegeben. Uns Piloten ist das Umfeld und die Risiken dazu bewusst.

Doch ist diese «Change Kultur» allein damit zu erklären, dass wir selbst mit im Flugzeug sitzen und aus dem Interesse unseres eigenen Überlebens handeln?

Eine Frage des Bewusstseins

Natürlich agiert man anders, wenn es um das eigene Leben und jenes vieler Passagiere geht. Aber ich glaube, dass unser Handeln und unsere Motivation im Umgang mit Fehlern noch andere Beweggründe hat. Und damit kommen wir zurück auf die Eingangsfrage: was steht am Anfang eines erfolgreichen Safety Managements?

Bewusstsein!

  • Bewusstsein dafür, dass niemand fehlerfrei ist, sondern immer Potential für Verbesserung da ist.
  • Bewusstsein dafür, dass es immer eine Verkettung von Umständen ist und wir diese Fehlerkette an vielen Stellen unterbrechen können.
  • Bewusstsein dafür, dass wir jeweils nur die Spitze des Eisberges sehen. Die wahren Potentiale für grundlegende Verbesserungen aber unter der Wasseroberfläche liegen.
  • Bewusstsein aber auch dafür, dass man Veränderungen nicht einfach von oben nach unten durchsetzen kann, sondern, dass sie immer Hand in Hand geschehen müssen (Flugzeughersteller und Betreiber, Geschäftsführung und Airline Pilot, Vereinsvorstand und Mitglied; denn es ist nicht der Verein, der die Mitglieder ändert, sondern die Mitglieder, die den Verein verändern).

Fehler als echte Chance

Wichtig ist auch, dass Fehler nicht als Start in ein Blame Game mit nutzlosen Strafen gesehen werden, sondern als echte Chancen mit Verbesserungspotential. Unser Stichwort dabei ist eine gut etablierte «Just Culture» (siehe dazu auch Beitrag in der nächsten gedruckten Ausgabe 4/22 von «Cockpit»). Darauf gehen wir in den nächsten Blogs näher ein.

Das bedeutet auch, einen intensiven Aufwand zu betreiben, um in jährlichen Schulungen das Bewusstsein jedes Einzelnen in genau diese Richtung zu schärfen. Das Ergebnis lohnt sich jedoch!

Denn: «Wer einen Fehler begeht, und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten» (Konfuzius)

Resilienz und Entscheidungsfindung als Eckpfeiler

Was kommt nach dem Bewusstsein? Resilienz und Entscheidungsfindung als weitere Eckpfeiler von Safety Management. Resilienz: Wir hören und lesen nahezu überall, wie wichtig sie im Berufs- und Privatleben ist. Doch was genau bedeutet das allgemein und speziell für uns Piloten?

Eine entscheidende Grundlage für Resilienz ist – wie oben geschrieben – die Fähigkeit zum Wandel in Zusammenhang mit einer funktionierenden Fehlerkultur. Ein weiterer Pfeiler: die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.

Was bedeutet Resilienz allgemein? Per Definition ist «Resilienz – auch Anpassungsfähigkeit – der Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren». Je besser und schneller wir uns anpassen bzw. erholen können, als desto resilienter gelten wir. Es geht also darum, wie schnell wir uns aus menschlichen Reaktionen auf z. B. Stress oder Krise befreien und der neuen Situation anpassen können.

Wesentlich ist dabei, welche Entscheidungen wir treffen, und zwar sowohl in qualitativer als auch in zeitlicher Hinsicht. Je strukturierter wir dies tun, umso handlungsfähiger bleiben wir.

Schlüssel für die eigene Resilienz

Sehr oft sehen wir endlose Diskussionen ohne konkrete Entscheidungen. Es scheint menschlich, eine gewisse Lähmung in Stress- oder emotional schwierigen Situationen zu zeigen. Die Verantwortung liegt schwer auf den Schultern, die Angst vor einer falschen Entscheidung überwiegt oft. Im Flugzeug wäre eine solche Lähmung unter Umständen aber tödlich. Schnelles und vor allem konsequentes Handeln ist ein wichtiger Erfolgsfaktor im Cockpit.

Airlines bedienen sich daher Entscheidungsfindungsmodellen, um einer möglichen Lähmung entgegenzuwirken. Das Bekannteste ist das FORDEC-Modell. Dabei werden F wie Fakten gesammelt, O wie Optionen entworfen und mit R wie Risiken abgewogen. Nach diesen drei Schritten gibt es kein zurück, es wird eine D wie Decision, also Entscheidung, verlangt. Danach wird diese Entscheidung mit dem E wie Execution ausgeführt. Ganz wichtig wird zum Schluss mit C wie Check noch überprüft, ob das Resultat tatsächlich wie gewünscht ist, oder ob der Prozess von vorne gestartet werden muss.

Der rote Faden

FORDEC ist ein mögliches Modell, aber es gibt natürlich auch andere. Es spielt keine Rolle, welches Modell angewendet wird. Entscheidend ist die Tatsache, dass überhaupt ein einheitliches Modell genutzt wird, sodass alle Beteiligten wissen, an welchem Punkt im Prozess man steht und es auch für einen selbst einen roten Faden gibt. Dieser rote Faden ist klar strukturiert, faktenbasiert und ergebnisoffen. Und das ist ein Schlüssel für unsere eigene Resilienz. Denn wenn wir es schaffen, faktenbasiert und in manchen Fällen schnell zu entscheiden und zu handeln, werden wir auch schnell mit Situationen zurechtkommen und dafür sorgen, dass sie uns nicht vom Kurs abbringen oder gar aus der Bahn werfen.

Mehr zu diesen Themen, und weitere Vertiefungen über die Bestandteile eines erfolgreichen Safety Management Systems erfahren Sie in den nächsten Blogs.

Kerstin Mumenthaler – aim4safety
Kerstin’s Herz schlägt für die Luftfahrt. Pilotin ist ihre Berufung, ihre Leidenschaft die Sicherheit. Neben der Ausbildung zur Verkehrspilotin absolvierte sie deshalb einen Master of Science in Air Safety Management und besuchte verschiedene Lehrgänge für Business Continuity und auch Projektmanagement. Im Logbuch der ehemaligen Airline Pilotin stehen heute über 6000 Flugstunden hauptsächlich auf dem Airbus A320. Sie hat 20 Jahre Erfahrung sowohl im operativen Einsatz als Flight Safety Officer und Krisenmanager einer Airline als auch als Beraterin für Krisenmanagement. Heute ist sie offizielles Member of the Business Continuity Institute (MBCI). Mit der aim4success Group GmbH, zu der auch die Marke aim4safety gehört, bietet sie mit ihrer Geschäftspartnerin und Helikopter-Pilotin Edith Tieber Beratungsdienstleistungen für Transformations- und strategische Resilienz an. Doch ganz ohne Cockpit geht es nicht und so fliegt sie weiter privat und ist designiertes Vorstandsmitglied der Motorfluggruppe Zürich
 
Tino Janke – EasyMemoryItems

Tino absolvierte seine Verkehrspilotenausbildung parallel zum Studium als Diplom Bauingenieur. Seine fliegerische Karriere begann klassisch bei einer deutschen Airline, wo er zunächst als First Officer auf Boeing 737, später als Captain auf dem Airbus A320 und Airbus A330 tätig war. Danach wurde es international und er wechselte als Captain zu Juneyao Airlines in Shanghai / China. Heute fliegt er als Captain auf Airbus A330 bei Eurowings Discover. Neben der kommerziellen Luftfahrt begeistert ihn schon seit jeher auch die General Aviation. Tino Janke ist Segelflugpilot, Fluglehrer für PPL(A) sowie Trainingscaptain auf A320/A330 und engagiert in diversen Vereinen und Clubs. Airlines und Fliegerclubs haben in seinen Augen mehr Gemeinsamkeiten als man denkt. Trotzdem unterscheiden sich beide beim Umgang mit Notverfahren und Checklisten gravierend. Tino’s Idee ist es das Gute aus Beiden zu verbinden und so hat er EasyMemoryItems in Leben gerufen.