Die komplexe Natur der Thematik sowie Geheimhaltungsfristen werden eine umfassende Aufarbeitung und Kontextualisierung von BODLUV 2020 erst in einigen Jahren erlauben. Bereits jetzt fällt jedoch auf, dass das Projekt zahlreiche Parallelen zu einem der wichtigsten und kontroversesten schweizerischen Beschaffungsvorhaben des Kalten Kriegs aufweist. Dabei ging es um die Einführung des Mirage-Abfang-jägers und der Bloodhound-Lenkwaffen. Damals wie heute standen die Entscheidungsträger im Spannungsfeld einer raschen und unübersichtlichen technischen Entwicklung und einer volatilen sicherheitspolitischen Lage. Dies macht einen Vergleich beider -BODLUV-Projekte besonders reizvoll.

Es ist sicher ein Zufall, dass schliesslich die gleiche Anzahl Mirage IIIS beschafft worden sind, wie heute F-35 beantragt werden. Dennoch muss wahrscheinlich jedes Flugzeug eine Polemik um Nutzen und Kosten ertragen, getreu dem Bonmot von Sir -Sidney Cam: «All modern aircraft have four dimensions: Span, Length, Height and Politics.»

Heute aber kaum präsent ist, dass der Kampf  um die Wahl der Boden-Luft-Lenkwaffen im Jahr 1960 nicht weniger erbittert geführt wurde.

Wunsch nach eigenen Lösungen

Die «Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschaffung von Kampfflugzeugen (Mirage IIIS) und von weiterem Material für die Fliegertruppen (4. Mai 1961)» war die zeitgenössische Entsprechung zum heutigen Air2030/BODLUV-Projekt.

«BODLUV 1960» nahm Mitte der 1950er-Jahre mit der Ausarbeitung und Einführung der Truppenordnung 60 seinen Lauf und endete mit der Indienststellung der Mirage-Abfang-jäger im Jahr 1966. Die Zeit war gekennzeichnet vom Wunsch der Verwaltung und der Industrie, in vielen strategischen Technologien (Kernenergie, Kernwaffen, Lenkwaffen, Rechner, Triebwerke, Flugzeuge, Panzer) eigene Lösungen zu präsentieren. Dementsprechend wurden modernste Systeme evaluiert und beschafft, zum Teil wurden sogar eigene Entwicklungsprojekte vorangetrieben. Diese Projekte wurden bei den Lenkwaffen eingestellt, beim Mirage führten sie zu einer Kostenexplosion mit Nachkrediten, einer Flottenreduktion und personellen Abgängen.

Nach einer anfänglichen Euphorie folgten aber in allen Bereichen rasch eine dahinschmelzende politische Unterstützung und die Erkenntnis, dass der stetig wachsende Entwicklungsaufwand rein schweizerischer Lösungen in vielen Bereichen nicht tragbar war.

Der BODLUV-Kreis schliesst sich

Ein kürzlich restaurierter und digitalisierter Werbefilm für MICON (siehe Clip) gibt einen Überblick über das System und die Komponenten. Der Film zeugt vom Stolz und der Zuversicht, die damals hinsichtlich der eigenen Fähigkeiten in der Contraves AG vorherrschten. Heute findet sich, neben Prototypen von weiteren damals vielversprechenden Entwicklungsprojekten, eine RSE im Militärmuseum Full-Rheuenthal. Ein Vergleich zwischen Bloodhound und RSE KRIENS ermöglicht auch ein Besuch in der hervorragend erhalten Bloodhound-Stellung in Menzingen, welche unter der Führung der Militärhistorischen Stiftung des Kantons Zug MHSZ steht. Die ideale Lage und Abdeckung dieser Stellung ist ein Grund, warum die Evaluation der BODLUV 2020 Lenkwaffenbewerber dort stattgefunden hat, womit sich der BODLUV-Kreis vollends schliesst

Dies ist ein Auszug aus dem Artikel «Frühe Drohnenversuche in der Schweiz» von Dr. Moritz Vischer. Der ganze Beitrag ist in der nächsten gedruckten Ausgabe 8/22 von «Cockpit» nachzulesen (erscheint ab dem 19. August). Verpassen Sie keine Ausgabe und bestellen Sie noch heute ein Abo. Einzelne Ausgaben können unter diesem Link bestellt werden.