Die achtziger Jahre spornten viele Flugzeugbauer an, neue Wege zu gehen. Im Bereich der Geschäftsreiseflugzeuge lieferten sich gleich zwei relativ ungleiche Rivalen, Beech und Piaggio einen harten Wettbewerb. Beech offerierte das «Starship» das die Handschrift von Burt Rutan trug und als Entenflügler mit zwei Pusher Turboprop-Motoren ausgestattet war. Nach 53 ausgelieferten Maschinen wurde aufgrund fehlender Nachfrage die Produktion eingestellt. Die Maschinen wurden zurückgekauft, um sich der weiteren Musterbetreuung zu entziehen.
Ganz andere Wege nahm Piaggio‘s P.180 Avanti. Er hatte seinen Erstflug 1986 wie auch der amerikanischen Mitbewerber, doch im Gegensatz zum Starship, bei dem erstmals carbonverstärkter Kunststoff verwendet wurde, entstanden beim Avanti zumindest Rumpf und Flügel in konventioneller Metallbauweise. Neben Canardflügel erhielt Piaggio‘s Maschine noch ein konventionelles Höhenleitwerk, ein Novum bis zu diesem Zeitpunkt.
Zwischen Jet und Turboprop
Der P.180 Avanti, der in seiner dritten Variante den Namen Avanti EVO annahm, wurde Anfang der achtziger Jahre von einem Team von Ingenieuren unter der Leitung des Luftfahrtdesigners Alessandro Mazzoni entworfen. Ziel war es, ein Flugzeug zu schaffen, dessen Leistung zwischen einem Turboprop und einem Jet liegen. Die heute noch weltweit unübertroffene aerodynamische Lösung mit drei Auftriebsflächen hat dazu beigetragen, dass beim schnellsten Turboprop der Welt, die Betriebskosten um 40% unter denen von Jets mit vergleichbaren Abmessungen liegen. Gleichzeitig brachten die Schubpropeller und das Rumpfdesign ein Flugzeug mit einer unübertroffen grossen, ruhigen und komfortablen Kabine in die Geschichte der Luftfahrt.
Finanzspritze aus dem Emirat
Bei Piaggio schleppten sich die Verkäufe mühsam voran. 2018 kam es zur Insolvenz. Die Investoren-Firma Mubadala aus Abu Dhabi stützte das Unternehmen, um es wieder ich sicheres Fahrwasser zu bringen. Nun konnte die gesamten Avanti-Flotte 1 Million Flugstunden mit insgesamt 246 ausgelieferten Maschinen feiern. Der als I-PJAR registrierte Prototyp, der heute nur noch experimentell tätig ist (Seriennummer MSN 1002), erhielt aus diesem Anlass eine Sonderlackierung.
«Das Erreichen einer Million Flugstunden ist ein Meilenstein, der in der Unternehmensgeschichte einen symbolischen Wert hat», kommentierte Vincenzo Nicastro, der Sonderkommissar von Piaggio Aerospace. «Vor genau zwei Jahren, im Dezember 2018, als ich ernannt wurde, schien das Unternehmen kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Trotz eines sehr negativen wirtschaftlichen Szenarios ist es uns stattdessen gelungen, Piaggio Aerospace wieder voll funktionsfähig zu machen und Tausende von Arbeitsplätzen und eine mehr als 100 Jahre alte Marke zu retten. Wir freuen uns jetzt darauf, bald einen neuen Eigentümer zu finden, der von einem umfangreichen Auftragsportfolio profitieren und in der Lage sein wird, die Zukunft des Unternehmens neu zu gestalten,» so Nicastro.
Ästhetisch und «cool»
Diese Optimierung der Leistung spiegelt sich auch in der Ästhetik des Produkts wieder, das als eines der coolsten Flugzeuge der Welt gilt. Piaggio Aerospace hat insgesamt 246 P.180 produziert, von denen derzeit 213 auf fünf Kontinenten im Einsatz sind: 95 in Amerika, 96 in Europa, 18 im asiatisch-pazifischen Raum und 4 in Afrika und im Nahen Osten. Der P.180 mit den meisten Dienstjahren ist als Seriennummer MSN1004 bekannt und fliegt noch heute in den USA, während die mit den meisten Flugstunden die MSN1007 (in Kanada) mit mehr als 11.000 Flugstunden ist.
Bestellungen für weitere 13 Flugzeuge befinden sich derzeit in verschiedenen Produktionsphasen. Zu den ersten, die ausgeliefert werden, gehört der Avanti EVO, der von einem grossen asiatischen Kunden bestellt wurde. Totgesagte leben eben oft länger als man ihnen prophezeit. Insider sind überzeugt, dass das Avanti-Konzept unter einem bekannteren Namen in den USA wesentlich bessere Startchancen gehabt hätte. Zu unbekannt war der kleine Hersteller auf dem Markt der seinerzeit von Firmen wie Beech, Cessna und Piper beherrscht wurde. Doch der 7,7 Millionen teure Flieger wird nach wie vor eine sinnvolle Alternative zu teureren Jets sein.