Im Cockpit bin ich gewohnt, die Kontrolle zu haben. Mir mental einen Plan zurechtzulegen und ihn abzufliegen. Aber weder im Cockpit noch im Leben verläuft nun mal immer alles genau nach Plan. Egal wie gut der Plan ist.
Corona hat die Welt aus ihrer Komfortzone geholt. Haben wir es uns in den letzten Jahren und Jahrzehnten in unseren Routinen und Denkmustern bequem gemacht, so mussten wir in den letzten zwei Jahren plötzlich ins Ungewisse hinein mutige Entscheidungen treffen. Wenn im Cockpit das Unvorhergesehene passiert, können Sie nicht mal eben rechts ranfahren und erst mal einen Stuhlkreis bilden. Da oben müssen Sie handeln! Weil an diesem Handeln Hunderte Menschenleben hängen, trainieren wir ein Berufsleben lang, ausserhalb unserer Komfortzone Bestleistung zu bringen. Gerne möchte ich Ihnen daraus einige Erkenntnisse vorstellen, die mir auch als Mensch sehr weitergeholfen haben.
I have control
Die erste und wichtigste Entscheidung ist immer, die volle Verantwortung für die eigene Situation zu übernehmen. Nur weil Sie persönlich nichts für das schlechte Wetter oder den technischen Defekt können, sind Sie als Pilot nicht weniger verantwortlich, die Kiste heil runter zu bekommen, oder? Und nichts anderes erwarten Ihre Passagiere und Ihre Crewmitglieder von Ihnen: nicht jammern – kämpfen! Mit Blick auf den Piloten scheint das selbstverständlich.
Aber wie oft schimpfen wir gerade in diesen Zeiten auf äussere Umstände, statt uns bewusst zu machen, dass nach wie vor allein wir das Steuer in der Hand haben? Verantwortung bedeutet Freiheit. An unserem unendlichen Handlungsspielraum haben die schwierigen äusseren Bedingungen rein gar nichts verändert. «Du bist der Pilot!»
Fliegen lernt man durch Fliegen
Fliegen ist wie das Leben selbst. Man wird nicht gut darin, indem man anderen dabei zusieht und Handbücher darüber studiert. Sondern durchs Machen. Verantwortung zu übernehmen bedeutet, rauszugehen und sich einfach zu trauen. Ohne genau zu wissen, was passiert.
Meinen ersten Solo-Flug als Flugschüler über der Wüste von Arizona hatte ich nach gerade mal 12 Flugstunden. Ohne Fluglehrer. Da oben bist du auf dich allein gestellt, komme was wolle. Auch meinen allerersten Flug in einem grossen Passagierflugzeug sollte ich steuern. Mein Kapitän war nur Co-Pilot. Ja, ich war überfordert. Ja, ich habe unzählige Fehler gemacht. Aber es waren Schlüsselerlebnisse, die mich als Mensch geprägt haben. Und an deren Ende zwei sehr wichtige Erkenntnisse standen: 1.) so schlimm war es gar nicht und 2.) ich habe mich überwunden und dadurch ein grosses Ziel im Leben erreicht. Persönliches Wachstum findet ausserhalb der Komfortzone statt!
Fehlerkultur ist Führungskultur
Fliegen ist heute nicht etwa deshalb so sicher, weil keine Fehler passieren. Laut einer Studie passiert sogar alle vier Minuten (!) im Cockpit ein Fehler. Das möchte wohl kein Passagier hören. Aber es zeigt: Nicht der Fehler ist das Problem, sondern die Fehlerkette. Weder Unternehmen noch Flugzeuge stürzen ab, weil der Einzelne einen Fehler macht. Sondern weil niemand den Fehler sieht. Oder sehen will. Oder weil sich niemand traut, den Fehler offen anzusprechen. Positive Fehlerkultur funktioniert in der Praxis nur mit Vertrauen: Wie der Kapitän es vorlebt, lebt die Crew es nach. In «Fuck-up-Meetings» sollen Erfahrungen offen geteilt werden: share your experience. Die Frage nach dem «Wer» ist dabei unwichtig. Das «Warum» gilt es zu verstehen. Positive Fehlerkultur ist kein Ponyhof. Sie setzt nur den Fokus woanders: auf die Lernkurve. Nicht der Fehler wird bestraft, sondern der fahrlässige Umgang damit.
Nutze deinen «inneren Kompass»!
Der krampfhafte Zwang der Fehlervermeidung steht uns auch bei Entscheidungen oft im Weg. Es geht nicht darum, den richtigen Weg im Leben zu finden. Auch wenn wir das immer glauben. Wenn wir irgendwann mal zurückblicken, zählt nur, dass wir unseren Weg im Leben gegangen sind. Die Ratio ist wichtig, aber die schwierigen Entscheidungen gehen weit über das Rationale hinaus. Sogar im Cockpit, wo alles so vermeintlich rational und strukturiert abläuft. Im Leben sowieso.
Schenken Sie Ihrer Intuition Gehör! Wir alle haben diesen «inneren Kompass». Was wir brauchen ist der Mut, ihm zu folgen. Das Wichtigste aber ist: Treffen Sie eine Entscheidung! Eine Fehlentscheidung ist rückblickend fast immer besser, als gar keine Entscheidung zu treffen. In diesem Sinne: Kommen Sie gut an!
Über Philip Keil
Der erfahrene Verkehrspilot mit über 8000 Flugstunden wurde mehrfach für seine Impulsvorträge und Management-Ansätze ausgezeichnet. Als Redner und Sachbuchautor hat Philip Keil europaweit Zehntausende Menschen erreicht. Er ist bekannt aus dem Fernsehen, wo er regelmässig als Experte für Teamwork und Fehlerkultur vor der Kamera steht.
www.philipkeil.com
Buchtipp «Du bist der Pilot» von Philip Keil; 272 Seiten, fester Einband; erschienen im Raffler-Verlag, ISBN 978-3-9816118-9-2, ca. CHF 30.
Dieses Buch ist ein spannender Perspektivwechsel. Lernen Sie zehn Erfolgsfaktoren aus der Luftfahrt kennen, die auch am Boden den Unterschied zwischen Crash und Punktlandung machen.

