Die schon lange zurückliegende Entwicklungsgeschichte des P-16 findet seit Jahren ein ungebrochenes Interesse. Die meisten Beiträge ermöglichen allerdings nicht, ein abschliessendes Urteil über die militärischen, technischen, industriellen und politischen Vorgänge zu vermitteln.

«P-16-Entwicklung in ein anderes Licht rücken»

In der Serie im «Cockpit» wurde die Quellenlage im Bundesarchiv und im Staatsarchiv von St. Gallen umfassend erkundet und wichtige Einzelheiten dargestellt. Viele interessante neue Details und Daten sind über die Entwicklungsgeschichte des P-16 bekannt geworden. Allerdings fehlt meines Erachtens eine Beurteilung des Projektes P-16 samt Einordnung in grössere Zusammenhänge. Es wird ausserdem der Eindruck erweckt, dass in Altenrhein eine unqualifizierte Equipe an einem veralteten Konzept tätig war. Im Rahmen des Lear Jet-Jubiläums werden der Schweizer Ursprung des Projektes samt dem Vorlauf mit dem Kampfflugzeug P-16 zwar genannt, der P-16 aber oft negativ kommentiert.

Als Autor der Schrift «Schweizerische Strahlflugzeuge und Strahltriebwerke» (Verkehrshaus der Schweiz von 1977) über die  Entwicklung und Technik, sowie mit einer jahrzehntelangen Erfahrung in der Führung von militärischen Flugzeug-Entwicklungsprojekten und industrieller Leitungserfahrung ist es mein Anliegen, die Entwicklung des P-16 in ein anderes Licht zu rücken.

Der wahre Kern des Scheiterns

Der Ursprung des P-16 lag im Eidg. Flugzeugwerk F+W in Emmen. Unter der Bezeichnung N-10 wurde das Projekt zur weiteren Bearbeitung den FFA Flug- und Fahrzeugwerken in Altenrhein übergeben in der völlig unrealistischen Absicht des EMD und der Politik, zwei Projekte, sowohl den N-20 (F+W) als auch den N-10, zu realisieren. In dieser Anlage liegt der wahre Kern des Scheiterns von beiden Projekten und nicht in den angeblich fehlenden industriellen Kompetenzen. Es folgte ein Ressourcen-Verschleiss sowie die Fehde zwischen Emmen und Altenrhein samt unschönen föderalistischen Elementen «Ostschweiz gegen Innerschweiz». Hinzu gesellten sich die Vorstellungen der Militärs, frühzeitig ausschliesslich auf Überschallflugzeuge zu setzen.

Natürlich war der Start bei beiden Projekten entsprechend zäh und langwierig: Anpassung an (militärische/politische) Anforderungen und verbunden mit einem weiteren (doppelten!) Team-Aufbau. Die Kompetenz bei den FFA wurde aber nachhaltig gefördert durch die Mitwirkung von hochkarätigen Professoren und deren Mitarbeiter aus den Instituten der ETH: insbesondere Ackeret (Aerodynamik, Weltpremiere mit dem ersten Überschall-Windkanal schon 1934 an der ETH), Amstutz, Rauscher (Struktur), Eichelberg (Thermodynamik). Die Beteiligung war nicht nur beratend sondern auch mit direkter konkreter Mitarbeit. Leider fehlte nach dem Abbruch der N-20 Entwicklung die Mitarbeit am P-16 aus dem Eidg. Flugzeugwerk Emmen (Verweigerung aus Verärgerung).

Ursachen für das Scheitern sind im EMD und in der Politik zu suchen

Die Entwicklung des P-16 wurde von Dr. Ing. H.-L. Studer geleitet, einem erfahrenen Flugzeugkonstrukteur, der bei Prof. Ackeret doktorierte. Ihm standen namhafte Schweizer Ingenieure wie Pfenninger, Weichelt, Strub, Spalinger sowie die ausländischen Ingenieure und Konstrukteure zur Seite. Insgesamt zu Beginn eine (zu) kleine aber kompetente Truppe.

Bei den Verantwortlichen im EMD und in der Politik, aus deren Protokollen und Schriftverkehre die veröffentlichten Beiträge abgeleitet sind, müssen in erster Linie die Ursachen für das Scheitern gesucht werden. Dort ist auch die Frage nach den fachlichen und industriellen Kompetenzen und Leitung zu stellen.

Ausländische Spezialisten sind immer beteiligt

Die Ausgangslage hinsichtlich der technisch-wissenschaftlichen Kompetenz nach dem 2. Weltkrieg war in der Schweiz jedenfalls ausgezeichnet, sogar besser als Schweden. Eine fehlende «Swissness» aufgrund der vielen ausländischen Spezialisten ist unbegründet, denn diese sind bei allen Flugzeugentwicklungen, beteiligt sowohl im In- als auch Ausland. Ohne diese wäre sowohl in Schweden als auch in der Schweiz sämtliche Entwicklungen – etwa auch bei Pilatus – nicht möglich gewesen. Die völlig normalen bzw. unvermeidbaren Systemzulieferungen haben mit Souveränität nichts zu tun. Nicht einmal historisch folgte die Schweiz einem solchen, vollkommen unrealistischen, politisch motivierten Souveränitätsmodell, siehe Fokker/C-35, Dewoitine, Morane. Bei den späteren Beschaffungen sowieso nicht mehr.

Unzweckmässiger Konkurrent und verfrühte Flüge mit Truppenpiloten

Das «Katastrophenregister P-16» ist nichts Aussergewöhnliches, sondern mehr oder weniger «courant normal» bei allen Flugzeugentwicklungen: Kostensteigerungen, unzählige technische Probleme, Streit um zum Teil unrealistische Forderungen etc. Alles hatte (verständlicherweise) jeweils grossen Ärger zur Folge: bei den Behörden, der Truppe, in der Politik und beteiligten Industrien. Der als (vermeintlicher) Konkurrent auftretende F-104 mit Mach-2* Höchstgeschwindigkeit war ein Exot und Punktentwurf, der in Europa als Nuklearträger und nur für die Klar-Wetter-Interzeption konzipiert war (sogar nur mit IR-Lenkwaffen bewaffnet, schlechter als die allwettertaugliche Mirage IIIS). Der P-16 demgegenüber war (wie der N-20) für den Angriff gegen Bodenziele und für den Luftkampf auf Sicht für unsere völlig anderen Bedürfnisse zugeschnitten, also für den frontnahen Einsatz.

Wenn sich einige Militärs für den unzweckmässigen F-104 einsetzten, dann in Unkenntnis dieses Sachverhalts. Ebenso unzweckmässig waren die viel zu frühen Flüge mit Truppenpiloten, als wesentliche Mängel des Prototypen noch nicht behoben waren. Entsprechend negativ war das Verdikt. Professor Ackeret berichtete mir noch persönlich darüber und wie er dieser Kritik begegnete.

Ablehung durch Militärs und Behörden und unkooperatives Verhalten des FFA-Chefs

Die Ablösevereinbarungen zwischen dem Bund und der FFA ermöglichten der Firma auf eigene Initiative die Einführung von entscheidenden Verbesserungen beim Vorserienmodell P-16 Mk III, und das von 1958 bis 1959, unter heutigen industriellen Gesichtspunkten in geradezu atemraubend kurzer Zeit. Im Gegensatz beispielsweise zum Gripen, 50 Jahre später, der 2012 bei uns als beschaffungsreif deklariert wurde, obwohl ein repräsentativer, rein flugmechanischer Prototyp ohne Ausrüstung noch gar nicht existierte, von den restlichen Prototypen und Vorserienflugzeugen wie beim P-16 vorhanden, ganz zu schweigen. Nach acht Jahren FSD (Full Scale Development) wurde derselbe Gripen-E im Jahre 2019 von denselben Behörden als noch nicht reif für die Erprobung und zur Beschaffung für die Schweiz deklariert.

Der Abbruch der bereits beschlossenen Serienfertigung des P-16 wurde weitgehend durch die  Ablehnung von Militärs und Behörden verursacht sowie politisch und durch die innerschweizerische Konkurrenz. Die organisatorischen und politischen Probleme mit den FFA und dem wenig kooperativen Verhalten des Firmenchefs spielten allerdings auch eine Rolle.

Zusammenfassung

Fazit: Neben der erfolgsversprechenden Entwicklung bis 1959 gehörte der P-16 konzeptionell mitnichten zum alten Eisen: 25 Jahre danach fand der Erstflug des italienischen Erdkampfflugzeuges AMX statt, im Grundkonzept ein moderner P-16 (Antrieb durch den Rolls Royce «Spey», welcher auch für den P-16 unter der Projektbezeichnung AR-7 vorgesehen war). Waffentechnisch hatte der P-16 aber immer noch Vorteile dank der 30mm Hochleistungskanone aus Schweizer Provenienz und einer internen Raketenbewaffnung.

Nach der Ablehnung der Corsair II-Beschaffung in der Schweiz im Jahre 1969 wurden ausserdem weitere Flugzeuge des Typs Hawker Hunter beschafft, welche im Erdkampf dem P-16 in sämtlichen Bereichen unterlegen waren: Start, Landung, Bewaffnung/Traglast, Flugleistungen, Treffsicherheit. Dies belegt auch ein Flugleistungsvergleich zwischen dem P-16 und dem Hunter, welcher von der ALR Arbeitsgruppe für Luft- und Raumfahrt vor ein paar Jahren vorgenommen wurde.

Der Abbruch des Projektes P-16 war also ungerechtfertigt und es fehlte danach ein leistungsfähiges, modernes Luft-Boden-Flugzeug. Der Abbruch hatte ausserdem noch jahrzehntelange, politisch ungünstige Auswirkungen auf die nachfolgenden Beschaffungen, abgesehen vom Verlust an Know-how und industriellen Fähigkeiten.

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Publikationen zum P-16. Eine Würdigung unter strategischen, technologischen industriellen und politischen Gesichtspunkten ist aber selten zu finden.

* Die weltweit übliche Geschwindigkeitsbezeichnung benannt nach dem Physiker Ernst Mach als Vielfaches von der Schallgeschwindigkeit wurde übrigens von demselben (Schweizer) Professor Jakob Ackeret 1929 (!) eingeführt. Er hat sehr massgeblich die Entwicklung des P-16 begleitet und gilt als einer der Mitbegründer der kompressiblen Aerodynamik und des Überschallfluges. Das als Ergänzung zur Schweizer Kompetenz auf diesen Gebieten.

Über Georges Bridel
Der Schweizer Georges Bernard Bridel (1946) ist Schweizer Ingenieur und Luft- und Raumfahrtspezialist. Er war verantwortlich für eine Anzahl Flugzeugentwicklungen, -konzepte, operationelle Studien und historische Abhandlungen. Unter anderem war er Leiter der Vorentwicklung von Militärflugzeugen bei EADS Military Air Systems, heute Airbus, in Manching. Sein Vater André Victor Bridel war Oberst und Militärpilot der Schweizer Flugwaffe. Der Grossonkel Robert Gsell wirkte als Schweizer Flugpionier der ersten Stunde mit Schweizer Brevet Nr. 13.