Herr Kerschbaum, Sie haben vor kurzem das Präsidium der Raumfahrt Initiative Schweiz ARIS übernommen.  Mit welchen vorrangigen Aufgaben waren Sie in den ersten Monaten betraut?
ARIS wurde im Jahr 2017 von einer Gruppe, bestehend aus 40 Studierenden der ETHZ und HSLU, gegründet. Ziel war es, mit einer selbstentwickelten Forschungsrakete am Spaceport America Cup in New Mexico teilzunehmen. Seitdem hat sich die Anzahl an Projekten und Mitgliedern Jahr um Jahr erhöht: Heute entwickeln, designen und testen mehr als 200 Studierende in sechs Projekten Forschungsraketen, Hybrid- (engl. Hybrid Rocket Engine, HRE) und Flüssigtreibstoffmotoren, Satelliten, autonome Raketenbergungssysteme (engl. Guided Recovery, GR) und Unterwasserforschungssonden. Als erste Aufgabe waren wir als neu gewählter Vorstand vor die Herausforderung gestellt, Ressourcen im Verein sinnvoll zu verteilen und die Kommunikation zwischen den Teams zu fördern.

Wo bzw. in welcher Weise werden Sie während Ihrer Amtszeit die Schwerpunkte und Prioritäten setzen?
Bei der Gründung steckte ARIS sich das Zwischenziel, bis 2024 eine Rakete mit Hybrid Rocket Engine und Guided Recovery, welche vollständig in-house entwickelt und hergestellt wurde, im Rahmen eines Studentenwettbewerbs zu starten. Dank guter Fortschritte im Team planen wir, diesen Meilenstein bereits nächstes Jahr – ein Jahr früher als erwartet – zu erreichen. Im Vorstand planen wir bereits jetzt die Mission für die Jahre danach – eine Mission, die uns bis zum Ende des Jahrzehnts ins Weltall bringen soll.

Was ist Ihnen im Zusammenhang mit dem ARIS-Präsidium wichtig, welche Anliegen stehen für Sie im Vordergrund und welche Ziele möchten Sie erreichen?
Im Zentrum der Entwicklung unseres Vereins stand zu Beginn die erfolgreiche Teilnahme an Studentenwettbewerben mit unseren Forschungsraketen. In Zukunft wollen wir den Fokus mehr in Richtung unserer übergeordneten technischen Ziele legen. Mein Anliegen ist es, diese Ziele sowohl gegenüber unseren Mitgliedern als auch unseren wirtschaftlichen und akademischen Partnern zu kommunizieren und so weiterhin ein geschlossenes Auftreten des Vereins mit einer klaren Mission zu gewährleisten.

Kurz ein paar Worte zu ARIS: Wer ist die Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz? Welche Ziele verfolgt sie und welches sind ihre Visionen?
Die Idee von ARIS war und ist es, motivierten Studierenden neben dem Studium erste Einblicke in die praktische Projektarbeit bieten zu können. Für den Verein ist es deshalb wichtig, spannende Missionen, mit denen sich alle unsere Mitglieder identifizieren können, zu definieren. So haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis in zehn Jahren ein CubeSat-Experiment mit in-house entwickelter Raketentechnik in den Orbit zu befördern. Als Zwischenziele sind auf unserer Roadmap eine CubeSat-Mission unter Zuhilfenahme eines Launch-Providers bis 2024 und der Start einer Forschungsrakete, welche uns bis 2027 ins Weltall bringen soll, vorgesehen.

Welche übergeordneten Ziele verfolgt ARIS?
Als Non-Profit-Verein befinden wir uns in der glücklichen Lage, dass neben den technischen Zielen nicht wirtschaftlich/kommerzielle Aspekte, sondern Member-Development im Zentrum stehen können. Unsere oberste Priorität ist es, unseren Mitgliedern eine Umgebung zu bieten, wo im Hörsaal Gelerntes praktische Anwendung findet. So ist auch unser Motto «Space to Grow» in zweierlei Hinsicht zu verstehen: Einerseits sehen wir, dass das Feld der Raumfahrttechnik ein stark wachsendes ist und in Zukunft mit neuen kommerziellen Akteuren stark an Bedeutung gewinnen wird. Gleichzeitig möchten wir unseren Mitgliedern in diesem relevanten Forschungsbereich einen Ort zum persönlichen Wachstum bieten.

Weshalb der Bereich Raumfahrt?
I
n der Tat sind Schweizer Hochschulen und deren Studentenvereine auf vielen technischen Ebenen unterwegs: von Elektroflugzeugen und autonomen Fahrzeugen bis hin zu Forschungsrobotern und Drohnen.
Was für mich den Bereich Raumfahrt – neben seiner Zukunftsrelevanz – auszeichnet, ist, dass er einer der wenigen Bereiche ist, wo Menschen aus allen Fachrichtungen zusammenarbeiten können, von Maschinenbauern und Elektrotechnikern über Physiker, Chemiker, Biologen bis hin zu Managern und Marketing Experten. Alle arbeiten am gemeinsamen Ziel, das Wissen der Menschheit über den Ursprung des Universums zu vergrössern und unsere zukünftige Existenz über die Erde hinaus zu sichern.

Besondere Meilensteine seit der Gründung?
Hier dürfte jedes ARIS-Mitglied eine etwas andere Liste nennen. Für mich sind es der erste Start einer ARIS-Forschungsrakete (2018), der respektable zweite Platz beim internationalen Studentenwettbewerb (2019), der erste Test eines vollständig in-house entwickelten Triebwerks (2019) und der erfolgreiche Start einer Forschungs­rakete mit eben jenem Triebwerk (2021).

Wie viele Mitglieder zählt ARIS aktuell und wie setzen sich diese zusammen?
Momentan zählt unser Verein 307 Mitglieder, davon 15% Frauen, 85% Männer, grossteils Studierende der ETH (80%) und ZHAW (7%) und weitere Studierende der UZH, HSLU und FH OST.

ARIS hat bereits an diversen internationalen Wettbewerben teilgenommen. Mit welchem Ergebnis?
Trotz seiner jungen Vereinsgeschichte konnte sich ARIS dank starker Unterstützung durch akademische und industrielle Partner international als wichtiger Akteur im Bereich der studentischen Forschungsraketen etablieren. So durften wir bereits einige Preise bei internationalen Wettbewerben in die Schweiz holen, darunter den ersten Platz in der Kategorie Hybrid Rocket Engine an der EuRoC 2021 und den zweiten Platz in der Kategorie COTS 10 000 ft, wo wir uns beim SAC 2019 gegen 44 internationale Teams durchsetzen konnten.

Welche Projekte verfolgt ARIS in den kommenden Monaten und Jahren?
Unsere Projekte des Zyklus 2021/2022 befinden sich nun im Endspurt: Unsere Mitglieder beschäftigen momentan die Vorbereitung und Auswertung von Raketenstarts am Spaceport America Cup (SAC) in New Mexico und an der European Rocketry Challenge (EuRoC) in Portugal, die Durchführung von Helikopter-Drop-Tests unseres Guided Recovery System in der Schweiz und Test-Firings unseres Flüssigtreibstoffantriebs bei unserem Hangar in Dübendorf. Zum Erreichen unserer mittelfristigen Ziele (Launch eines CubeSat-Experiments bis 2024 und Flug einer Forschungsrakete auf 100 km) stellen wir bereits die Weichen: Im kommenden Projektjahr werden wir neben dem Competition Team, welches an der EuRoC 2023 teilnehmen wird, unsere Flaggschiffprojekte zur Entwicklung des ersten CubeSat (Project SAGE) und der Höhenforschungsrakete mitsamt Flüssigtreibstoffantrieb vorantreiben.

Welchen Stellenwert hat eine Organisation wie ARIS Ihrer Meinung nach sowohl für Studierende als auch für die Gesellschaft?
Wir verstehen unseren Verein als komplementär zu Hochschulen und Universitäten: Die im internationalen Vergleich ausgezeichnete Bildungslandschaft der Schweiz gibt den Studierenden theoretisches Wissen und Werkzeuge mit auf den Weg, welche diese später bei der Arbeit in Industrie und Forschung anwenden können. ARIS bietet den Studierenden die Möglichkeit, dieses Wissen bereits vorab im Rahmen von Studentenprojekten zum Test zu bringen und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Aus- und Weiterbildung der nächsten Generation von Technikern, Forschern und Managern.

Inwiefern profitiert die Wirtschaft von den Aktivitäten von ARIS?
Mitunter ein Grund, weshalb viele unsere Industriepartner die Zusammenarbeit mit unserem Verein schätzen, ist, dass sie so in Kontakt mit potenziellen zukünftigen Mitarbeitern kommen können, welche bereits Projekterfahrung in einem höchstrelevanten Themenbereich sammeln konnten. So stellt die Teilnahme an einem unserer Projekte für viele Unternehmen mittlerweile eine Art Qualitätssiegel dar. Zusätzlich bieten die von unserem Verein regelmässig veranstalteten Events für unsere Industriepartner auch grossartige Möglichkeiten zum Austausch untereinander.

Welche Partner arbeiten in welcher Form mit ARIS zusammen?
Unser Verein unterscheidet grundsätzlich zwischen Partnerschaften mit akademischen Einrichtungen (Academic Partners) und Unternehmen (Industry Partners). Auf der akademischen Seite profitieren wir vom Zugang zu Infrastruktur (Arbeitsplatz im IPZ via ETH), Tools (CMAS Lab, Center for Project-Based Learning D-ITET) und vom direkten Austausch und gemeinsamen Arbeiten an Projekten mit Forschungsgruppen an unseren Partneruniversitäten ETHZ, HSLU, ZHAW, OST und UZH. Unsere Industriepartner – allen voran unsere Initiative Partners Beyond Gravity, Kistler, Meteomatics und Oerlikon – unterstützen uns sowohl finanziell-materiell als auch durch ihre Expertise und Feedback für unsere technischen Teams.

Wo sehen Sie ARIS in fünf Jahren?
«Rocket science is hard science.» Auf der technischen Ebene bin ich deshalb vorsichtig mit Prognosen. Sofern wir unsere Entwicklung weiterhin nach Plan vorantreiben können, werden wir bis in fünf Jahren unsere erste CubeSat-Mission im Orbit hinter uns haben und kurz vor dem Launch unserer ersten weltalltauglichen Forschungs­rakete stehen. Auf Vereinsseite hoffe ich, dass wir weiterhin jährlich Hunderten von Studierenden Einblicke in Projekte rund ums Thema Raumfahrt bieten und so einen wichtigen Beitrag zur Förderung junger Talente in der Schweiz leisten können.

Besten Dank für dieses Gespräch, Herr Kerschbaum.

Zur Person – Michael Kerschbaum
Michael Kerschbaum, geboren in Österreich, studierte zunächst Mathematik und Physik an der Universität Wien, ehe er für das Masterstudium Physik an die ETH nach Zürich kam. Seit 2019 bei ARIS tätig, übernahm er 2021 das Amt des Präsidenten von Manuel Gerold. Michael ist hauptberuflich Doktorand der Physik an der ETH Zürich im Bereich Quantum Computing und verbringt seine Freizeit gerne mit dem Erkunden der Schweizer Berglandschaft. Für die Zukunft wünscht er sich, weiterhin in technisch anspruchsvollen und zukunftsrelevanten Forschungsfeldern – wie der Raumfahrt oder Quantum Computing – zu arbeiten.

Ein ausführlicher Beitrag zu den Projekten von ARIS ist zu lesen in der Print-Ausgabe von «Cockpit» Nr. 7/2022.