«Cockpit«. Manuel Gerold, wann und vor welchem Hintergrund wurde die Akademische Raumfahrtinitative Schweiz ARIS gegründet?
Manuel Gerold: ARIS wurde im September 2017 von einem Team, geleitet von Oliver Kirchhoff, gegründet. Die Motivation war und ist, Studierenden spannende Projekte im Bereich der Raumfahrt zu bieten und gemeinsam ambitionierte Ziele auf diesem Gebiet zu erreichen.

Welche übergeordneten Ziele verfolgt ARIS?
Die Vision von ARIS lautet: «Contribute to the Advancement of Life and  Take Part in Exploring its Origins by Developing Systems Meant for Space.» Dies reflektiert unsere interdisziplinäre Herangehensweise an verschiedenste Herausforderungen. Wir möchten spannende Projekte durchführen, die mittelfristig auch einen Einfluss auf die Fortschritte im Gebiet der Raumfahrt haben sollen. So arbeiten wir aktiv an der Entwicklung von Kleinsatelliten (CUBESAT), Forschungsraketen und autonomen Unterwasserdrohnen zur Exploration von anderen Planeten und Monden. Wir befassen uns mit hybriden und liquiden Antriebsformen für Forschungsraketen und Satelliten sowie der gezielten Landung von Systemen mit Hilfe von aktiv kontrollierten Fallschirmen.

Und welchem Zweck dient ARIS?
ARIS bietet Studierenden von Hochschulen aus dem deutsch-schweizer Raum die Möglichkeit, als Teil des Studium oder neben diesem aktiv an Projekten aus dem Raumfahrtbereich mitzuarbeiten. Gemeinsam mit unseren akademischen und industriellen Partnern möchten wir bahnbrechende Erfolge am Standort Schweiz feiern.

Wie viele Mitglieder zählt ARIS aktuell und wie setzen sich diese zusammen?
Aktuell haben wir etwa 300 Mitglieder, hauptsächlich Studierende. In unseren Projekten arbeiten Bachelor-Studierende aus den ersten Jahren mit sowie Master- und PHD Studierenden sowie Post Docs auf Augenhöhe zusammen. Einige Mitglieder sind zudem auch schon in der Raumfahrtindustrie tätig. Der Grossteil unserer Mitglieder studiert an der ETH. Zusätzlich sind Studierende von der HSLU, ZHAW, OST, Universität Zürch und HSG in unseren Projekten involviert.

Welche Möglichkeiten der Mitarbeit in den verschiedenen Projekten haben die Mitglieder und welchen Benefit ziehen sie daraus?
Mit ARIS möchten wir unseren Mitgliedern die Möglichkeit geben, schon während des Studiums Einblick in die Welt der Industrie und Forschung zu erhalten. Unsere Mitglieder können sich entweder aktiv in technische Projekte einbringen, wie zum Beispiel die Entwicklung des Kleinsatelliten oder die Verbesserung unserer Forschungsraketen (Struktur, Elektronik, Antrieb, Recovery) und vielen mehr. In unserem 300 Kopf grossen Verein gilt es zudem, fundierte strategische Entscheidungen zu treffen. Ebenso bieten wir spannende administrative Aufgaben. Dies kann zum Beispiel die Leitung oder ein Beitrag im Marketing Team sein. Man kann Einblicke ins Recruiting in unserem HR Team bekommen und hat auch auf der IT Seite herausfordernde Aufgaben zu lösen. Es gibt auch die Möglichkeit, Bachelor-, Semester- und Masterarbeiten zum Thema Raumfahrt in Kooperation mit ARIS zu schreiben.

Und umgekehert: Inwiefern profitiert die Wirtschaft von den Aktivitäten von ARIS?
Hier fällt mir sofort die Rückmeldung einer unserer langjährigen Partner ein. Nach bereits mehreren erfolgreichen Bewerbungsgesprächen unserer Mitglieder war die HR-Abteilung bei einer weiteren Bewerbung verblüfft. «Wie kommt es, dass alle guten Kandidaten aus den Reihen von ARIS kommen?», hatte man sich dort gefragt. Die Antwort liegt in unserem Fokus. Unsere Projekte sind dank ambitionierter Zielsetzung und grosszügiger Unterstützung auf die Weiterentwicklung unserer Mitglieder ausgelegt. Jedes Jahr schliessen somit mehr und mehr projekterfahrene Leader und Ingenieure ihr Studium ab und können ihr hart erarbeitetes Skillset in der Industrie oder an den Hochschulen unter Beweis stellen.

Zudem fördern wir aktiv die Initiierung von Startups. Das erste ARIS Spinoff, ein Flugcomputer für Forschungsraketen, wird demnächst an den Markt gehen. Wir sind zuversichtlich, dass es auch weitere spannende Projekte in die Industrie schaffen werden.

ARIS ist auf Unterstützung angewiesen. Aus welchen Gründen?
Alle ARIS-Mitglieder arbeiten auf freiwilliger Basis an den Projekten. Wir zahlen keine Gehälter und der Verein ist nicht Profit orientiert. Um dennoch unsere ambitionierten Ziele in diesem Rahmen umsetzen zu können, zählen wir auf verlässliche Partner. Wir bieten eine tolle Platform für Recruiting und Outreach und sind auch offen, technische Herausforderungen gemeinsam mit unseren Partnern zu lösen.

Welche Partner arbeiten in welcher Form mit ARIS zusammen?
Wir sind sehr Dankbar für aktive Unterstützung aus der Industrie. Hier sind wir vor allem auf Expertise, Sachsponsoring sowie Cashsponsoring angewiesen. Auch vom akademischen Umfeld werden wir grosszügig mit Expertise und Infrastruktur unterstützt.

ARIS verfolgt diverse Projekte. Welche waren während der letzten Monate vordergründig?
Das letzte Vereinsjahr stand unter dem Fokus der Weiterentwicklung unserer Forschungsraketen. Insbesondere konnten wir mit Projekt PICCARD die erste Forschungsrakete bauen, die unseren Hybridantrieb DAEDALUS nutzen kann. PICCARD ist eine 6.5 m lange Forschungsrakete mit einem Durchmesser von 180 mm. Diese kann eine 4 kg schwere Payload auf bis zu 10‘000 m transportieren. In diesem Jahr haben wir so das Produkt eines ETH Spinoffs getestet. DAEDALUS ist der zugehörige Hybridantrieb, der mit einem Paraffin-Gemisch und N2O (Lachgas) 5000 N Schub über 8 s liefert, um PICCARD zu starten. PICCARD und DAEDALUS haben sich am EuRoC 2021 mit einem Flug bis eine Höhe von 6500 m und einer sicheren Landung der Payload den ersten Preis in der Kategorie 30‘000 Fuss Hybridantrieb gesichert. Parallel dazu haben wir mit Projekt PHOENIX in diesem Jahr eine Pilotstudie zu einem Guided Recovery System durchgeführt. Erste Hubschrauberdroptests mit dem System waren erfolgreich.

Das klingt spannend. ARIS hat seit ihrer Gründung schon diverse weitere Projekte realisiert. Können Sie etwas mehr dazu erzählen?
TELL war unsere erste Forschungsrakete. Ihr Jungfernflug im Juni 2018 hat ARIS den ersten Award (für Modellierung und Simulation) am grössten Forschungsraketenwettbewerb der Welt (Spaceport America Cup; kurz: SAC) eingeräumt.

HEIDI folgte TELL im darauffolgenden Jahr und sicherte sich den zweiten Platz am SAC aus 54 Teams in ihrer Kategorie. Im Gesamtklassement belegte das Team den vierten Platz (mehr als 100 Teams waren angemeldet).

RHEA markiert das erste erfolgreiche Testfiring eines eigens entwickelten Hybrid Antrieb in der Klasse bis 1000 N Schub.

EULER ist die erste Forschungsrakete von ARIS, die designt ist, die Schallmauer zu durchbrechen. An der European Rocketry Challenge 2020 (EuRoC) wurde das Projekt mit dem Designaward geehrt.

PICCARD (Forschungsrakete) und DAEDALUS (der dazugehörige Hybridraketenantrieb) schlossen im Oktober 2021 das dreijährige Projekt zur Integration des Hybridantriebs in unsere Forschungsraketen mit einem Jungfernflug an der EuRoC 2021 zu mehr als 6000 m erfolgreich ab.

Ausserdem haben wir eine Vorlesungsreihe zum Thema Space Exploration and Science in Kooperation mit Prof. Sascha Quanz und Space Innovation initiiert. Hier konnten wir neben spannender Redner aus Industrie und Akademie auch zwei Astronauten – Claude Nicollier und Thomas Reiter–, sowie den Nobelpreisträger Didier Queloz als Vortragende gewinnen. Es haben sich 120 Studierende von ETH und UZH eingeschrieben.

Sie waren von April 2020 bis November 2021 Präsident von ARIS und davor während eines Jahres Vizepräsident. In einer mit Sicherheit herausfordernden Zeit gerade auch für engagierte Menschen einer wissenschaftlichen Vereinigung. Wie haben Sie Ihre Präsidialzeit insgesamt erlebt?
Es ist für mich eine grosse Ehre, Teil des Vorstands zu sein. Als Präsident habe ich stets versucht, gemeinsam mit den Teams die besten Rahmenbedingungen für die persönliche Weiterentwicklung unserer Mitglieder zu schaffen. Gemeinsam haben wir uns grossen Herausforderungen gestellt und auch wenn Dinge mal nicht ganz nach Plan gelaufen sind, haben wir zusammengehalten und stets versucht, das Beste aus den jeweiligen Situationen zu machen. Ich bin sehr stolz auf die Erfolge, die wir als Team feiern könnten und bin allen Kolleginnen und Kollegen sehr dankbar für die äusserst spannenden und lehrreichen letzten Jahr. Ich freue mich, weiterhin mit dem/der einen oder anderen auch in Zukunft ambitionierte Projekte umzusetzen.

Welches waren aus Ihrer Sicht besondere Highlights der vergangenen Monate?
Ich blicke auf eine sehr schöne und lehrreiche, aber auch fordernde Zeit zurück. Wir haben in dieser Zeit ein unglaubliches Wachstum als Verein durchlebt (von ca. 80 Mitglieder auf 300), wir konnten viele spannende Projekte starten und umsetzen und dürfen auf grosse Unterstützung von Akademie und Industrie zählen. Ich durfte so viele spannende Persönlichkeiten innerhalb des Vereins kennenlernen und gemeinsam mit unseren Mitgliedern unglaublich viel lernen. Auf technischer Ebene bin ich sehr stolz, dass wir am diesjährigen EuRoC mit zwei High-Powered Forschungsraketen antreten konnten und unseren ersten Hybridflug durchführen konnten. Seitens der Universitäten bin ich sehr dankbar, dass wir die Vorlesungsreihe initiieren durften. Dies ermöglicht es, Studierenden aus verschiedensten Richtungen, einen Einblick in die spannenden Gebiete der Raumfahrt zu bekommen.

Sie haben das Präsidium am 1. November Ihrem Nachfolger Michael Kerschbaum übergeben. Wie geht es für Sie persönlich weiter?
Ich habe mein Maschinenbaustudium vor einigen Monaten abgeschlossen und plane, weiter im Bereich Raumfahrt tätig zu sein.

Welches sind die nächsten Ziele von ARIS?
Wir werden weiterhin am Spaceport America Cup teilnehmen und hoffen mit HELVETIA im Juni 2022 bestmöglich abzuscheiden. Zudem freuen wir uns, mit SAGE unser erstes System für den Weltall zu entwickeln. Auch auf Explorationsseite planen wir mit Projekt NAUTILUS die Erkundung ferner Ozeanwelten zu ermöglichen.

Im kommenden Jahr führen wir die Forschungsraketenentwicklung weiter. Dem Projekt PICCARD folgt HELVETIA, DAEDALUS wird von ASTREA weitergeführt und auf PHOENIX folgt PERIPHAS. Die Ziele hier fokussieren sich auf eine nachhaltige Verbesserung der Systeme. Parallel zum Hybridantrieb ASTREA, haben wir im September 2021 auch die Entwicklung von Flüssigantrieben mit dem Projekt LEA gestartet. Ziel ist es hier im Laufe des nächsten Jahres mehrere Testfirings im Bereich von 1‘000 N Schub durchzuführen.

Als Raumfahrtinitiative haben wir uns zudem noch entschieden, den Fokus zu verbreitern. Wir sind seit einigen Monaten an dem Projekt SAGE dran, ein Kleinsatellit (CUBESAT), der durch Attitude Control künstlich Gravitation in der Erdumlaufbahn herstellen soll. Projekt NAUTILUS befasst sich mit der Entwicklung von autonomen Unterwasservehikeln, die der Erkundung von fremden Ozeanwelten dienen soll wie z.B. den Eismonden von Jupiter.

Die Luft- und Raumfahrtzeitschrift «Cockpit» freut sich über die kürzlich eingegangene Medienpartnerschaft mit ARIS.