Nach dem dritten Versuch hat es geklappt: Zwei Mal musste der Start von Ingenuity wegen technischer Probleme abgesagt werden. Ob die kleine Helikopterdrohne in der extrem dünnen Atmosphäre auch tatsächlich abheben kann, war bis zum Schluss ungewiss. Aber nun ist klar: Er kann es!

Weiteres Kapitel in der Raumfahrtgeschichte

Nach 203 Flugtagen und 472 Millionen Kilometern ist am 18. Februar 2021 eine Marssonde mit einer Landefähre und einem Rover (Perseverance), der einen Helikopter (Ingenuity) mit sich trägt, erfolgreich gelandet. Ob ein Helikopter wie «Ingenuity» (dt. Einfallsreichtum) in dünnster Atmosphäre fliegen kann, wurde zuvor mit zwei Flügen in einer Vakuumkammer auf der Erde erfolgreich erprobt. Dass dies auch in der Zielumgebung – auf dem Mars – funktioniert, hat die NASA nun bewiesen. Am gestrigen Montag, 19. April, teilte die US- Raumfahrtbehörde mit, dass der Mini-Hubschrauber «Ingenuity» seinen historischen Flug auf dem Mars absolviert hat.

Es ist das erste Mal überhaupt, dass ein solches Manöver auf einem anderen Planeten gelungen ist.

Aussergewöhnliche Leistung

Der aktuelle Höhenweltrekord eines Helikopters auf der Erde liegt bei 12'442 Meter (geflogen am 21. Juni 1972 mit einem Aérospatiale SA 321). Nur mühsam können wenige Drehflügler auf diese Höhen überhaupt klettern! Man stelle sich aber vor, dass man auf über 30 480 Meter steigen müsste. Genau aber dort herrscht eine Dichte, die der Marsatmosphäre entspricht. Ganze 1 Prozent der Erdatmosphärendichte: Dies die Bedingungen auf dem Mars!

Start und Landung eines koaxialen Modelhubschraubers mit einem Durchmesser von nur 1,20 Metern und einer Flugmasse von 1,8 Kilogramm sind die Eckdaten des jetzt dort inzwischen fliegenden Mars-Helikopters. Der Mars-Heli ist ein komplexes Gebilde mit autonomer Energieversorgung, bestehend aus 6 Lithium-Ionen-Batterien, das ihn in einer Höhe bis 5 Metern über der Marsoberfläche schweben und bis zu 300 Meter weit fliegen kann. Maximal 35 km/h Marschgeschwindigkeit sollen möglich sein.  Die erste Aufnahme der mit an Bord der Rovers mitgeführten Kamera beweist das. Der Flug dauerte zunächst jedoch nur wenige Sekunden! Weitere Füge sollen folgen.

Heli zur Erweiterung des Aktionsradius

Die Idee, ein Flugobjekt auf einem anderen Himmelskörper fliegen zu lassen, geht in das Jahr 2013 zurück. Am Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena/Kalifornien beschloss man, eine Sonde zum Mars zu schicken, die nach einer Umlaufbahn eine Landefähre absetzt, in der sich ein Rover befindet. Letzteres war nicht neu, denn schon einmal hatte sich die NASA an ein solches Unternehmen gewagt. Diesmal wollten die Forscher allerdings im Rover einen Heli integrieren, um damit ausserhalb des Rover-Aktionsradius die Erkundigungen auszuweiten. Auch dort, wo die Topografie ein Weiterfahren des Rovers trotz aufwändiger Antriebssysteme verunmöglicht.

Dass die Berechnungen der amerikanischen Ingenieure exakt ihren Resultaten entsprach, dieser Beweis wurde nun durch den ersten Flug von «Inguenity» am Montag erbracht.

Kleines Wunder auf vier Landestelzen

Bringt es beispielsweise ein Airbus-Helikopter vom Typ H225 auf 250 Umdrehungen pro Minute, so müssen «Ingenuitys» Rotorblätter etwa 10 Mal so schnell drehen. Das erfordert hochbelastbare Kohlefaser-Propellerblätter, die obendrein sehr leicht sein müssen. Die Antriebstechnik des  kleinen, mit vier Landestelzen ausgerüsteten Demonstrators ist aber durchaus mit dem eines Modellhubschraubers vergleichbar. Um Verluste auszuschliessen, wird selbstverständlich ein bürstenloser Elektromotor eingesetzt, der über ein Umkehrgetriebe je einen Zweiblattpropeller antreibt. Die Befehle kommen über die Bodenstation in Pasadena/USA via Rover «Perseverance». Der Rover ist also eine Art Relaisstation für den Heli Ingenuity.

Bereits am 7. April wurden die Rückhaltesysteme freigegeben, welche die Rotorblätter seit dem Start zusammengehalten haben. Danach erfolgten automatische Tests sowie die Überprüfung der Energieeffizienz des Hubschraubers, einschliesslich der Bewertung der Solarleistung und des Ladezustands der sechs Lithium-Ionen-Batterien des Fahrzeugs. Erste startversuche scheiterten jedoch.

Mars-Flug 117 Jahre nach den Wright-Brüdern

«Ingenuity» absolvierte seinen ersten Flug etwas mehr als 117 Jahre nach den ersten Versuchen der Gebrüder Wright mit der Kitty Hawk in North Carolina am 17. Dezember 1903. An diesem Tag hatten Orville und Wilbur während des ersten Flugs in 12 Sekunden 120 Fuss zurückgelegt. «Ein kleiner Teil des Materials, das einen der Flügel des Flugzeugs der Gebrüder Wright bedeckte, befindet sich nun an Bord von Ingenuity», berichtete die NASA kürzlich. Gemäss deren Angaben handelt es sich dabei um ein kleines Stück Isolierband aus Stoff. Es wurde angeblich um ein Kabel unter dem Solarpanel des Hubschraubers gewickelt.

Die Wrights ihrerseits verwendeten diese Art von Material (ein ungebleichter Musselin namens «Pride of the West»), um ab 1901 die Flügel ihrer Segel- und Motorflugzeuge zu bespannen.

Dass historische Erinnerungsstücke auf modernen Flügen mitgeführt werden, ist nicht ungewöhnlich: Die Apollo 11-Besatzung etwa führte während ihrer Mondmission im Juli 1969 ein kleines Stück Holz aus dem Wright Flyer mit. Eine weitere Probe begleitete John Glenn 1998 an Bord der Space Shuttle Discovery in die Umlaufbahn. Ein Stück Verbundenheit mit dem amerikanischen Pioniergeist und Entdeckertum.

Von Ballons auf der Venus zum Heli auf dem Mars

Der Mars-Helikopter «Ingenuity» ist nicht das erste menschliche Flugobjekt auf einem anderen Planeten. Die vormalige UdSSR hatte bei ihren Vega-Missionen 1985 erfolgreich zwei Ballons auf der Venus fliegen lassen. Das Projekt war in Kooperation mit der ESA entstanden. Die Ballons wurden in Frankeich hergestellt. Sie trugen als Nutzlast Sensoren, die u.a. Temperatur, Windgeschwindigkeit und Helligkeit messen konnten.

Doch der Mars-Helikopter ist in der Raumfahrtgeschichte ebenso ein Meilenstein, wie auch die ersten Rover auf dem Planeten. Mit dem ersten angetriebenen, kontrollierten Flug, dem weitere nach Wiederaufladung der Batteriezellen über das Solarpanel erfolgen werden, konnte der Beweis erbracht werden, dass aerodymisches Fliegen auf anderen Gestirnen in ungleich dünneren Atmosphären durchaus möglich ist. Der Mars-Helikopter dient jetzt erst einmal nur als Demonstrator. Zunächst ist eine 31-tägige Erprobung geplant. In dieser Zeit sind bis zu fünf Testflüge geplant. Danach wird sich der Mars-Roboter entfernen und der Mars-Heli bleibt alleine zurück auf dem etwa 10 x 10 Meter grossen Startplatz. Spätere Mars- sowie auch Monderkundungen werden davon profitieren, denn dann möchten die Forscher auch grössere sonden- und kamerabestückte Kopter ähnlich der bei Erderkundungen Systeme mit Flugzeugen und Satelliten einsetzen.

Bisher gibt es nur eine einzige Aufnahme. Livestreams, sollen später die bis zu 90 Sekunden langen Flüge von «Ingenuity» bestätigen. Der Termin steht noch nicht fest. Wir halten Sie auf dem Laufenden.