Der Swiss fehlt derzeit Personal. Gründe dafür sind einerseits in der Einschätzung des Bedarfs an Mitarbeitenden im vergangenen Frühling zu finden (2021 verloren unter anderem mehr als 300 Kabinen-Mitarbeitende ihren Job); anderseits fallen derzeit vermehrt Arbeitnehmende aus gesundheitlichen Gründen aus. Gleichzeitig setzt die Swiss seit dem 1. Dezember ungeimpfte Besatzungsmitglieder nicht mehr im Flugdienst ein («Cockpit-Online» berichtete).

Das hat einige Wellen ausgelöst und Fragen aufgeworfen. Gemäss verschiedenen Medienberichten vom vergangenen Wochenende werde Swiss eher Flüge streichen, als die rund 200 ungeimpften Pilotinnen und Piloten sowie Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter zurückzuholen. Dass die betreffenden Besatzungsmitglieder ohne Impfung nicht mehr im Flugdienst eingesetzt werden, bestätigt die Swiss, stellt aber auf Anfrage ihre Sichtweise der Situation dar.

Flugstreichungen nicht ausgeschlossen

Swiss habe einen Anstieg der Krankheitsfälle von Mitarbeitenden zu verzeichnen, allerdings noch ohne grössere Auswirkungen auf den operativen Betrieb. Bisher habe eine Verbindung (Zürich-London-Zürich am 3. Januar) aufgrund von Personalknappheit gestrichen werden müssen, informiert Karin Müller, Head of Media Relations und Mediensprecherin bei Swiss. In den kommenden ein bis zwei Wochen werde eine weitere Steigerung der Krankheitsfälle wie überall in der Schweiz erwartet, sodass nicht ausgeschlossen werden könne, dass es zu weiteren Flugstreichungen komme.

«Allerdings», so Karin Müller weiter, «hat sich die Bestandessituation am vergangenen Wochenende (15./16. Januar 2022) bereits merklich verbessert. Einerseits gab es weniger Krankmeldungen, andererseits spüren wir die verkürzte Quarantäne- und Isolationsfrist und haben eine geringere Produktion als noch um den Jahreswechsel mit den Feiertagen.»

Dynamische Situation

Konkrete Zahlen das personelle Defizit betreffend kommuniziert die Swiss keine. Die Situation sei dynamisch und erzeuge derzeit keine grösseren Auswirkungen auf den Flugbetrieb. Auf die Frage, wie die Swiss die personellen Engpässe kurzfristig zu lösen gedenkt bzw. wie sie einen reibungslosen Flugbetrieb auch in den kommenden Monaten gewährleisten kann, informiert Müller: «Um den Flugplan stabil zu halten, planen wir mehr Reserven an Wochenenden oder einzelnen Tagen mit höherer Produktion ein oder optimieren die Arbeitseinsätze der Crew Members, indem beispielsweise einem geplanten Einsatz mit zwei Flügen noch zwei weitere angehängt werden; selbstverständlich erfolgt dies stets innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zudem werden einzelne Langstreckenflüge mit einem Cabin Crew Member weniger als üblich durchgeführt, wobei die Anzahl der Besatzungsmitglieder weiterhin über der gesetzlich vorgegebenen Minimum-Crew liegt.» Unabhängig von der aktuellen Pandemie habe Swiss interne Notfallpläne, um allfällige Personalengpässe auffangen zu können. Details dazu werden aber nicht kommuniziert.

«Mehr Abgänge als vorhersehbar»

Die Swiss schreibt erläuternd: «Im Rahmen der im vergangenen Frühjahr eingeleiteten pandemiebedingten Restrukturierungsmassnahmen musste sich Swiss leider von vielen Mitarbeitenden trennen, da auch längerfristig nicht damit zu rechnen ist, dass sich das Flugvolumen in naher Zukunft wieder auf das Vorkrisenniveau erholen wird. Diesen Entscheid musste Swiss im Frühling 2021 auf der Basis der zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Informationen und der damals geplanten Kapazität für den Sommer 2022 fällen.» Der für Sommer 2022 vorgesehene Flugplan bleibe aber unverändert, bestätigt Karin Müller. «Wir verzeichneten jedoch mehr Abgänge beim Kabinenpersonal, als im Frühling 21 vorhersehbar war. Einerseits haben deutlich mehr Mitarbeitende von der Möglichkeit einer freiwilligen Frühpensionierung profitiert und die reguläre Fluktuation ist entgegen unseren Erwartungen nicht gesunken. Andererseits sind aufgrund des per Anfang Dezember eingeführten Impfobligatoriums zusätzliche Mitarbeitende nicht mehr einsetzbar, was in der Planung im Frühjahr 21 noch in keiner Weise absehbar war. Wir erhöhen daher mit verschiedenen Massnahmen wie beispielsweise einer freiwilligen Aufstockung von Teilzeitpensen oder einem Rückkehr-Angebot an Mitarbeitende (...) den Bestand unserer Kabinenbesatzungen. Diese Massnahmen sind vor allem mittelfristiger Natur und beziehen sich auf den Sommerflugplan 2022.»

Ungeimpfte Mitarbeitende mit Lösungsvorschlägen

Am 6. Januar hat zwischen Vertretern des nicht geimpften Personals und der Swiss eine Schlichtungsverhandlung stattgefunden. Auch angesichts der sich zuspitzenden personellen Situation bei der Swiss haben die Gesuchsteller der Airline konkrete Lösungsansätze unterbreitet. Unter anderem wurde in diesem Zusammenhang vorgeschlagen, nicht geimpfte Besatzungsmitglieder per sofort wieder im Flugdienst einzusetzen, mit der Auflage, dass diese an Pool Tests teilnehmen. Pilotinnen und Piloten sowie Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter, welche über einen Genesenen-Status verfügen, sollen ebenfalls per sofort wieder in den Flugbetrieb zurückkehren können, mit deren Verpflichtung, regelmässig einen Antikörpertest vorzuweisen. Ausserdem sollen nicht geimpfte Pilotinnen und Piloten per sofort im Simulator-Dienst eingesetzt werden (mit 3G-Nachweis). 

Ergänzend zu den Vorschlägen betonten die Gesuchsteller, dass nicht geimpfte Besatzungsmitglieder eine Sonderregelung bezüglich Kündigungsfrist akzeptieren würden. Diese beinhaltet den Einsatz der betreffenden Arbeitnehmenden bis zu dem Zeitpunkt, an dem aufgrund von Einreiserestriktionen der Flugdienst nicht mehr möglich wäre. Diese Massnahme wäre auf die Dauer der Omikron-Welle beschränkt und hätte anschliessend neu ausgehandelt werden müssen.

Trotz Personalknappheit: 200 gesunde Mitarbeitende bleiben am Boden

«Leider kam im Rahmen der Schlichtungsverhandlung keine Einigung zustande und die Schlichtung wurde ohne Schlichtungsvorschlag an die Parteien beendet», bestätigt ein Vertreter der Gesuchsteller auf Anfrage. «Wir schauen aber hoffnungsvoll in die Zukunft und vertrauen dem Management von Swiss, dass es nun vor dem Hintergrund der schwierigen Situation die Lage trotzdem neu beurteilt und der Situation eine Chance gibt, bevor sie ihr wertvollstes Gut, ihre Mitarbeitenden, auf die Strasse setzt.»

Von einem Einsatz der rund 200 ungeimpften Mitarbeitenden, die weder in Quarantäne noch krank sind, will die Swiss aber weiterhin nichts wissen.

Personelles Paradoxon

Im August vergangenen Jahres hat die Swiss als erste europäische Airline und als erstes grosses Schweizer Unternehmen angekündigt, ein Impfobligatorium einzuführen. Die Swiss begründete den Entscheid offiziell mit «fürsorglichen und operationellen Gründen». Weltweit verlangen bislang jedoch weiterhin nur Kanada und Hongkong von der Flugzeugbesatzung einen Impfnachweis.

Wer bis zum 15. November nicht vollständig geimpft war, wurde spätestens ab dem 1. Dezember nicht mehr im Flugdienst eingesetzt; diese Arbeitnehmenden müssen nun mit der Kündigung rechnen. Während etwa 200 gesunde Menschen sofort wieder in den Flugdienst eingesetzt werden könnten, sucht die Swiss gleichzeitig dringend Personal. Sie hat daher Mitarbeitenden kontaktiert, die sie im vergangenen Jahr entlassen hat. Diese sollen – unter den bekannten Bedingungen – in den Flugdienst zurückkehren können, um ihre Kolleginnen und Kollegen zu entlasten.