An einem medizinischen Kurs der Rega für Flugretter und Repatriierungspiloten, den ich als Teilnehmer besuchte, berichtete der Kursarzt Dr. Schuster von seinem Einsatz auf der Arabischen Halbinsel. Nahe der Grenze zum Jemen bei Najran/Al Ukhdud richtete das IKRK ein Notspital ein, sozusagen «im Felde», das heisst in der Sandwüste von Arabien. Sie hätten ein Klinomobil, einen fahrbaren Operationssaal, transportiert, erzählte Schuster; zuerst mit einem der grossen Globemaster-Flugzeuge des US-Military Air Transport Service (MATS) nach Riad, der Hauptstadt von Saudi-Arabien. Dann weiter per Lastwagen etwa 1000 Kilometer auf teilweise sehr coupierten Wüstenpisten ins jemenitische Kriegsgebiet. Der Flugtransport mit dem MATS sei allerdings sehr teuer gewesen, erwähnte Dr. Schuster. Bei der Frage- und Diskussionsrunde zu diesem Unternehmen entfuhr es mir – ohne weitere Detailkenntnisse – etwas leichtfertig: «Das machen wir bei Balair viel billiger.» Die Folge meiner trockenen Bemerkung war, dass Balair vom IKRK einen Transportauftrag erhielt und mit einer «enlarged Crew» auch ausführte. Neben Fachleuten für das Notspital waren Material für den Aufbau des «Wüstenspitals» und ein Geländewagen zu transportieren. Die Zeit, um Vorbereitungen für den Einsatz nach Najran zu treffen, war kurz. Zudem herrschten damals kriegerische Unruhen im Jemen, da sich auch noch Ägypten militärisch einmischte.

Kurzer geografischer Exkurs

Ganz im Süden der arabischen Halbinsel liegt Aden. Viele Jahre war hier eine britische Basis für militärische und zivile Verbindungen nach Indien und Südafrika. Den Flughafen Aden-Khormaksar kannte ich von meinen früheren Linienflügen her. Für mich waren die jeweils dort stationierten Longrange Avro 696 Shackleton (Seefernaufklärungsflugzeuge) interessant. Mit den DC-3 der britisch-jordanischen Fluggesellschaft Arab Airways (Jerusalem Ltd) führte unsere längste Tagesstrecke von Amman via Jeddah nach Aden, was zehn bis elf Flugstunden ergab. Die Küste entlang des Roten Meeres und die Lage der Farazan Islands waren mir vertraut und damit auch der geplante Einflugpunkt Gizan/Dschazan für den Weiterflug Richtung Najran.

Von Genf via Kairo nach Jeddah

An einem Samstag Mitte November im Jahr 1963 starteten wir frühmorgens in Basel mit unserer DC-4 HB-ILB zum IKRK-Einsatz auf der Arabischen Halbinsel. Vorerst galt es, in Genf Material zu laden. Die erste Etappe führte via Tankstopp in Kairo nach Jeddah, dem Vorort von Mekka an der Küste des Roten Meeres. Zu unserer Überraschung empfing uns nach unserer Ankunft der dort residierende Vertreter der Schweizer Botschaft in Riad. Er lud uns zu unserer Freude gleich zu einem Drink an seinen Wohnsitz ein. Nun hiess es abwarten. Amerikanische und schwedische UNBeaver-Piloten sollten uns für den DC-4-Flug grünes Licht geben. Die Schäden der ägyptischen Bomberangriffe seien noch nicht ganz behoben, hiess es. Wir bekamen auch navigatorische Tipps, unter anderem geografische Skizzen und den Hinweis, dass ein mobiler, aber schwacher Mittelwellenrundstrahler (NDB) aufgestellt sei, dessen Signale aus etwa 50 bis 60 Kilometer Distanz mit unserem ADF zu empfangen sein sollten.

Navigation wird zum Abenteuer

Zuversichtlich und neugierig auf das Kommende starteten wir vier Tage später in Jeddah und flogen südlich entlang der Küste Richtung Farazan Islands. Bei Gizan war der Einflugpunkt Richtung Najran (heute auch Nedschran genannt). Najran liegt etwa 200 Kilometer von der Küste entfernt in einem langen, ost-süd-ost gerichteten Wadi (Tal in der Wüste). Von der Küste her steigt das Gelände rasch an zu einem Küstengebirge mit Höhen bis etwa 1800 m ü. M. und flacht dann allmählich ins Wüstengebiet ab. Zwei geografische Referenzpunkte – Kamelhöckern ähnliche Bergspitzen – und später der NDB halfen uns, das Wadi Najran zu finden. Die Navigation zum Platz und damit das Ausfindigmachen der Landepiste war ein kleines Abenteuer: Ein erster Überflug zur Rekognoszierung für die bevorstehende Landung und als Signal für ein mögliches «Empfangskomitee» war dringend geboten.

Keine Infrastruktur

Die grosse Überraschung nach der Landung auf der «Wüstenpiste» war das totale Fehlen jeglicher Infrastruktur. Weder eine Rampe noch ein Gabelstapler standen zur Verfügung. Damals gab es noch keinen modernen, sprich ausgebauten Flughafen, sondern nur eine vom Gestrüpp befreite und planierte Sandpiste! Vom lokalen Gebieter, einem Scheich, erfuhren wir, dass nur zwei LKW zur Verfügung standen. Zudem hätten seine Kameltreiber keine Mühe beim Abladen; sie würden mit gutem Zureden ihre Kamele niederknien und absitzen lassen. Das war unser Stichwort! Ein Brainstorming unter der Flight Crew und gutes Zureden bei den saudischen Soldaten brachten den genialen Einfall zu unserem weiteren Vorgehen.

Die geniale Lösung

Mit Hilfe der Soldaten schoben wir die HB-ILB mit dem Heck voran an einen Gestrüpphügel. Die Bugradstrebe befestigten wir mit einem Seil an einem LKW. Dann ging es darum, behutsam und sorgfältig das Heck abzusenken: Dazu bestiegen Soldaten erst die Kabine, um sich danach Mann um Mann vorsichtig ins Flugzeugheck zu begeben, bis sich dieses zum Boden absenkte. Zum Schutz des Hecks und als Polster war vorher eine Lage Sandsäcke organisiert worden. Um das «Absitzen» der DC-4 «safe» zu gestalten, liessen wir Soldaten auf das Höhenleitwerk sitzen, bauten mit den vom Scheich gelieferten langen Brettern eine Rampe und fuhren den Geländewagen sorgfältig aus dem Flugzeugrumpf heraus. Damit war unser Transportauftrag mit Erfolg erfüllt. Mit einem der UN-Beaver-Piloten durfte ich anschliessend zum Notspital fliegen und die Anlagen besichtigen. Ein Schweizer Feldweibel erzählte mir dort vom Mangel an Frischwasser. Mit einigen Harassen Mineralwasser in Metallbüchsen, die uns der Rega-Chef Fritz Bühler für alle Fälle auf unseren Wüstenflug mitgegeben hatte, konnten wir ihm einigermassen aushelfen.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag ist im «Cockpit» Nummer 1/2020 erschienen.

Über den Autor
Hans Versell-Neuhaus (*1930) blickt auf eine beeindruckende aviatische Laufbahn zurück. Nach der Linienpiloten-Ausbildung und der Beförderung zum Captain auf DC-3 flog er in den späten 1950er-Jahren als Verkehrspilot bei Arab Airways (Jerusalem Ltd) Linien- und Charterflüge im ganzen Mittleren Osten. Zurück in der Schweiz folgten Ausbildung und Tätigkeit als Fluglehrer (FVS-Kurse). Ausserdem war Versell massgeblich am Aufbau der Repatriierungsflüge bei der Rega beteiligt, flog in diesem Zusammenhang Einsätze auf Piaggio P-166 und absolvierte zwei Gletscherlandekurse bei Fredy Wissel. In den 1960er-Jahren wirkte Versell als B/IFR-Fluglehrer in der Flugschule Basel und war zugleich Langstreckenpilot auf DC-4 und DC-6B bei Balair, für die er Charterflüge in Europa, Afrika, Ost–West- und Zentralrouten nach Johannesburg sowie Repatriierungen während der Kongo krise absolvierte. Für Swissair führte er Motoren-Transportflüge nach Buenos Aires durch. Auch am Aufbau der Far East-Langstrecken von Balair war er beteiligt. Hans Versell-Neuhaus war 26 Jahre lang Luftfahrt-Inspektor beim L+A/Bazl, Sektion Luftfahrtpersonal und wirkte als Prüfungsexperte für PP, B und Linienpiloten. Zwischendurch flog er als PIC auf DC-3 bei UNTSO (United Nations Truce Supervision Organization). Ende 1992 trat er in Pension und beendete damit seine fliegerischen Aktivitäten. Als sein zuletzt liebstes Flugzeug nennt er die B200 Super Kingair HB-GDL. Hans Versell-Neuhaus ist verheiratet und Vater zweier Töchter.