Es ist noch nicht lange her, da verpasste sich die RUAG eine neue Unternehmensstruktur. Anfangs 2020 wurde die RUAG Holding AG eine neue Beteiligungsgesellschaft mit zwei Subholdings: Einerseits MRO Schweiz, die für die Armee tätig ist (zirka 2500 Mitarbeitende, Produktionsstandorte in der Schweiz); andererseits RUAG International für die übrigen Geschäftsbereiche (zirka 6500 Mitarbeitende, wovon zwei Drittel im Ausland). Der Bundesrat hatte damals im Vorfeld das Vorgehen bei der Entflechtung des für die Armee tätigen Bereichs von RUAG genehmigt. Gleichzeitig hat er entschieden, dass RUAG International zu einem Aerospace-Technologiekonzern weiterentwickelt und mittelfristig vollständig privatisiert werden soll. Der Bundesrat unterstützte damit die vom Verwaltungsrat vorgeschlagene Bildung einer Aerospace-Gruppe, welche mittelfristig aus den beiden Unternehmensbereichen Aerostructures und Space besteht. Die Kompetenzen und das technische Knowhow sollten mit diesem Schritt in der Schweiz erhalten bleiben – auch im Zusammenhang mit der Weltraumpolitik des Landes.

«Vom Staatsbetrieb zum Startup»

Was vor zwei Jahren vom Bund angekündigt wurde, wird nun Tatsache. Aus RUAG International wird «beyond gravity» – ein «agiler Spitzentechnologie-Anbieter für Space», wie die RUAG mitteilte. «Vom Staatsbetrieb zum Startup – nichts Geringeres als diesen Wandel hat sich CEO André Wall für die zukünftige RUAG International mit Fokus auf Space vorgenommen», heisst es in der Mitteilung. Die Vision sei klar: RUAG International soll sich zu einem Unternehmen weiterentwickeln, das Fortschritt für die Menschheit schafft und die Erkundung der Welt und darüber hinaus ermöglicht.

Satelliten- und Trägersysteme für die Raumfahrt entwickeln

André Wall, CEO von RUAG International, erklärt die Mission wie folgt: «Wir wollen integrierte Satelliten- und Trägersystem­fähig­keiten mit starken Partnern in Europa entwickeln. Dabei garantieren wir unseren Kunden einen 100%-igen Missionserfolg. Wir werden das erste Startup sein, dass Agilität, Speed und Innovation kombiniert mit jahrzehntelanger Erfahrung und bewährter Qualität.» Den Beweis, dass RUAG das könne, habe das Unter­nehmen mehrfach erbracht, hält Wall fest. Bereits beim Jungfernflug 1979 der Ariane-1 lieferte RUAG die Nutzlastverkleidung. Seit mehr als 40 Jahren sind europäische Missionen wie Galileo, SolarOrbiter, MetOp oder Copernicus mit RUAG Computern, Isolationen und Mechanismen ausgestattet. Bei grossen US-amerikani­schen Raumfahrtprogrammen wie dem James Webb Weltraumteleskop, IceSat oder zuletzt bei der NASA-Marsmission Perseverance war ebenfalls Technologie von RUAG im Einsatz.

Neues Selbstverständnis mit «beyond gravity»

RUAG International will sich im Space-Business mittelfristig mit einer neuen Marke unter dem Namen «beyond gravity» positionieren, um dem neuen Selbstverständnis Ausdruck zu verleihen. André Wall liefert dazu die Begründung: «Vor uns liegt ein optimales Startfenster: der Space-Markt boomt. Analysten prognostizieren einen 1-Billion-Dollar-Markt bis in 2040 mit jähr­lichen Wachstumsraten von über 16 Prozent. Geopolitisch war der Zugang zum Weltraum noch nie so relevant wie heute.» Die Ansprüche von «beyond gravity» sind ambitiös. So soll sich RUAG International vom Komponentenhersteller zum Anbieter von Sub­systemen wandeln. Das Unternehmen will in innovative Lösungen investieren und die heutige Produktion von Prototypen mit digitaler Techno­logie, Künstlicher Intelligenz und Robotik auf Mini-Serien umstellen. Der Fokus liegt laut RUAG auf dem Ausbau der Marktführerschaft in Europa und dem Ausbau des globalen Marktzugangs besonders in den USA, aber auch in Asien – sei es für institutionelle als auch kommerzielle Programme im New Space-Umfeld.

Konsequent auf Space fokussieren

Der Fokus auf Space fordert laut RUAG in der Konsequenz einen vollständigen Ausstieg aus dem rüstungs­nahen Geschäft sowie eine individuelle Weiterentwicklung des Flugzeugstrukturbaus. Für die derzeitigen Geschäftsbereiche hat dies Konsequenzen:

  • MRO International wird verkauft, sowohl die Geschäftstätigkeiten in Australien und Malaysia als auch der Bereich Simulation & Training. Die Wartungs-, Reparatur- & Betriebstätigkeiten für Geschäftsflugzeuge und militärische Helikopter sowie die Produktion der Dornier 228 am Standort Oberpfaffenhofen sind bereits Ende Februar 2021 an den neuen Eigentümer General Atomics Europe übertragen worden.
     
  • RUAG Ammotec: RUAG International ist zuversichtlich, dass bis Ende 2021 der Verkauf abgeschlossen und ein neuer Eigentümer gefunden ist, der das vorhandene Potenzial des überaus erfolgreichen Munition-Anbieters wertschätzt und dem Unternehmen zusätzliche Marktchancen eröffnen kann für mehr Wachstum.
     
  • RUAG Aerostructures muss sich angesichts der massiven Covid-19-Auswirkungen auf eine komplett veränderte Marktsituation ausrichten. Es dürfte mindestens bis 2025 dauern, bis die Flugzeughersteller wieder die Vor-Pandemie-Volumina erreichen. «Trotz der besonderen Herausforderungen in der Luftfahrtindustrie bin ich optimistisch, dass es uns mittels Restrukturierung gelingen wird, Aerostructures solide für die Zukunft aufzustellen», kommentiert André Wall. Über Jahre hinweg seien hier Fähigkeiten exklusiv für Premium-Kunden aufgebaut worden, die es zu schützen gelte. «Wir werden viel Energie in dieses Business-Segment stecken. Ich schliesse eine Devestition an einen strategischen Partner dabei nicht aus – vorausgesetzt, das Potential wird entsprechend wertgeschätzt», hält Wall fest. Die notwendigen Anpassungen plant das Unternehmen auch in enger Abstimmung mit den Hauptkunden umzusetzen.

Wandel nicht über Nacht

Der Wandel werde nicht über Nacht passieren, fass André Wall zusammen. «Inspiriert von der vor uns liegenden Zukunft, haben wir aber bereits jetzt zahlreiche Massnahmen eingeleitet, um unsere Gegenwart zu gestalten. Unser Versprechen an unsere Kunden ist klar: als Spitzentechnologie-Unternehmen mit höchster Zuverlässigkeit und der Mentalität eines Startups leisten wir einen wesentlichen Beitrag zu ihrem nachhaltigen Erfolg und wollen zu einem Inkubator für Innovationen avancieren.»