Die Oberstufe ist der Teil einer mehrstufigen Rakete, der am längsten unterwegs ist. Sie transportiert die Nutzlast und setzt sie an der gewünschten Position mit der korrekten Geschwindigkeit aus. Mit diesem Test ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Erstflug der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 erreicht. Bei dieser Oberstufe handelt es sich um eine von Grund auf neu entwickelte Raketenstufe. Konzipiert und gebaut hat sie das Unternehmen ArianeGroup.

Anspruchsvolle Tests für den Einsatz im Weltall

Die Stufe besteht aus zwei Haupttanks, die mit flüssigem Wasserstoff und flüssigem Sauerstoff gefüllt sind, dem neuen, bis zu viermal wiederzündbaren Vinci-Triebwerk sowie der APU (Auxiliary Power Unit), einer innovativen Antriebseinheit. Sie macht die Einsatzmöglichkeiten der Ariane 6 noch vielseitiger. Im Fokus bei diesem ersten Heisslauftest stand das Befüllen der Stufe mit kryogenen Treibstoffen sowie ein Test des wiederzündbaren Vinci-Triebwerks. Das Team des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe prüfte ausserdem alle zur Oberstufe dazugehörigen Systeme wie die Flugsoftware. 

«Die Heisslauftests der Oberstufe werden parallel zu den sogenannten kombinierten Tests der Trägerrakete und des Startplatzes in Kourou durchgeführt. Mit den vereinten Kräften in Lampoldshausen, Kourou und weiteren Standorten und dank der hervorragenden Teams aller Beteiligten werden wir technische Spitzenleistungen erzielen», erklärt Pierre Godart, Geschäftsführer (CEO) der ArianeGroup GmbH.

Heisslauftests: Königsdisziplin am Prüfstand

Insgesamt sind mit der Oberstufe beim DLR Lampoldshausen bis zu drei Heisslauftests geplant. In der Regel nehmen sie – nach mehreren Wochen intensiver Vorbereitung – jeweils rund 17 Stunden in Anspruch. Es werden alle Aspekte simuliert, einschliesslich der Vor- und Nachbereitung der Stufe. Dazu zählt das Betanken mit flüssigem Sauerstoff und flüssigem Wasserstoff sowie das Entleeren der Tanks nach Ende des Tests. Das Team des Prüfstands sammelt während der Versuche eine grosse Menge an wichtigen Daten: zum Beispiel über die ballistischen Phasen, in denen die Oberstufe ohne Schub fliegt, die sogenannte Coast Phase, über den Druckaufbau in den Tanks vor der Triebwerkszündung, über das Wiederzünden des Triebwerks und über die Funktion der Düsen, die der Lageregelung dienen.

Ein besonderer Moment für die Beteiligten

«Wir testen wir zum ersten Mal in der langen Geschichte des Ariane-Programms in Europa eine kryogene Oberstufe an einem neu entwickelten Prüfstand – also eine doppelte Premiere», sagt Prof. Stefan Schlechtriem, Direktor des DLR-Instituts für Raumfahrtantriebe. Die Erkenntnisse aus diesen Tests sind elementar, um die Ariane 6 zu finalisieren und startklar für den Weltraum zu machen. Entsprechend gründlich hat das Team um Anja Frank, Leiterin für die Versuchsanlagen im Institut für Raumfahrtantriebe, die Tests vorbereitet. In den letzten Monaten war höchste Konzentration gefordert, um sämtliche Vorbereitungen an der sieben Tonnen schweren Oberstufe mit einem Durchmesser von 5,4 Metern und einer Höhe von 11,6 Metern zu absolvieren. Genauso galt es, komplexe Softwareprogramme zu entwickeln und zu schreiben, um alle Abläufe während der Tests genaustens steuern und überwachen zu können.

Nicht nur technologisch läutet der erste Heisslauftest der Raketenoberstufe – die deshalb auch als «Hot Firing Model» (HFM) bezeichnet wird – eine wichtige Phase der gesamten Ariane-6-Trägerentwicklung ein: «Für alle Beteiligten ist das auch ein sehr emotionaler und spannender Moment, wenn die neu entwickelte Oberstufe erstmals auf dem Prüfstand gezündet wird», betont Schlechtriem.

Wiederzündbares Vinci-Triebwerk mit kryogenen Treibstoffen

Die Oberstufe der Ariane 6 ist mit einem wiederzündbaren Triebwerk namens Vinci ausgestattet. Es lässt sich bis zu viermal wiederzünden und kann von wenigen Sekunden bis zu mehr als 14 Minuten brennen. Damit ist die Ariane 6 sehr flexibel, kann ein breites Spektrum an Einsätzen abdecken und mit jeweils unterschiedlicher Missionsdauer mehrere Zielorbits ansteuern. Sie eignet sich besonders für den Transport von Satellitenkonstellationen, bei denen die einzelnen Satelliten in unterschiedlichen Umlaufbahnen ausgesetzt werden. Das Vinci-Triebwerk liefert mit der Treibstoffkombination aus kryogenem, also tiefkaltem flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff den notwendigen Schub, um die Nutzlasten genau an der gewünschten Position und mit der korrekten Geschwindigkeit im jeweiligen Orbit zu platzieren.

«Im 21. Jahrhundert sind die Europäer für ihre Sicherheit und ihren Wohlstand zweifellos auf Daten aus dem Weltraum angewiesen. Europa muss auf eine vollständige Autonomie beim Zugang zum Weltraum und dessen Nutzung hinarbeiten. Die Ariane 6 ist der Schlüssel dazu und wir freuen uns darauf, sie vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou, Französisch-Guayana, starten zu sehen», sagt Daniel Neuenschwander, ESA-Direktor für Trägersysteme.