Am 4. August 2018 um 16:14 Uhr startete das historische Verkehrsflugzeug Junkers Ju 52/3m g4e, eingetragen als HB-HOT und betrieben durch die Ju-Air, vom Flugplatz Locarno zu einem Flug zum Militärflugplatz Dübendorf. Rund 40 Minuten später flog das Flugzeug auf einem nordnordöstlichen Kurs in den Talkessel südwestlich des Piz Segnas ein. Gegen das nördliche Ende des Talkessels begann das Flugzeug eine Linkskurve, die sich zu einer spiralförmigen Flugbahn gegen unten entwickelte. Wenige Sekunden später kollidierte das Flugzeug annähernd senkrecht mit dem Gelände. Alle 20 Personen an Bord des Flugzeuges kamen dabei ums Leben. Das Flugzeug wurde zerstört.

Heute, am 28. Januar 2021, hat die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstele SUST den Schlussbericht (Nr. 2370) publiziert. Gemäss SUST ist der Unfall darauf zurückzuführen, dass nach einem Verlust der Kontrolle über das Flugzeug nicht genügend Raum vorhanden war, um dieses abzufangen, so dass es mit dem Gelände kollidierte. Die SUST führt in diesem Zusammenhang zentral menschliche Faktoren an und rückt die Besatzung ins Zentrum. Soweit die Kurzfassung des Unfalls.

Nachstehend eine Zusammenfassung der im Schlussbericht der SUST publizierten  Vorgeschichte, des Flugverlaufs, der Unfallursache und der getroffenen Massnahmen.

Vorgeschichte

Am Morgen des 3. August 2018 begann eine zweitägige Erlebnisreise von Ju-Air, die von Dübendorf nördlich der Alpen in den Kanton Tessin auf der Alpensüdseite führte. Sowohl der Hinflug am Freitag als auch der Rückflug am Samstag sollten mit dem historischen Verkehrsflugzeug Junkers Ju 52/3m g4e, eingetragen als HB-HOT, im Rahmen von gewerblichem Luftverkehrsbetrieb nach Sichtflugregeln durchgeführt werden. Beide Flüge waren den Piloten A und B anvertraut worden, die sich auf den einzelnen Flügen in den Funktionen als Kommandant und fliegender Pilot (Pilot Flying) einerseits bzw. Copilot und überwachender Pilot (Pilot Monitoring) andererseits abwechselten.

Nachdem die Fluggäste eingetroffen waren und ihr Gepäck im Flugzeug verstaut worden war, startete die HB-HOT um 08:59 Uhr vom Militärflugplatz Dübendorf (LSMD) aus zum Flug über die Alpen zum Flugplatz Locarno (LSZL). An Bord befanden sich 17 Passagiere und eine Flugbegleiterin sowie Pilot B, der das Flugzeug als Kommandant und Pilot Flying führte, und Pilot A, der ihm als Copilot und Pilot Monitoring assistierte.

Im Tessin angekommen, absolvierten die 17 Passagiere und die Flugbegleiterin, die auch als Reiseleiterin fungierte, im Tessin das nicht-fliegerische Programm der Erlebnisreise.

Flugverlauf

Tags darauf, am 4. August 2018 um 16:14 Uhr, startete die HB-HOT wieder ab dem Flugplatz Locarno (LSZL) zu einem gewerblichen Sichtflug zurück nach Dübendorf (LSMD).

Nach dem Start auf der Hartbelagpiste 26R gegen Westen und einer Umkehrkurve über dem Lago Maggiore führte der Flug via Bellinzona und Biasca ins Bleniotal. Die HB-HOT gewann dabei stetig an Höhe. Nördlich von Olivone drehte das Flugzeug ins Tal des Lago di Luzzone und somit in die Landschaftsruhezone Adula/Greina/Medels/Vals ein. Die Landschaftsruhezone wurde in Höhen von 120 bis 300 Meter über Grund und phasenweise mit geringem seitlichem Abstand zum Gelände durchquert.

Um 16:45 Uhr, als das Flugzeug die Alp Nadels überflog, schrieb die Flugbegleiterin in einer Textnachricht an eine Bekannte in Ruschein (Gemeinde Ilanz), sinngemäss, dass sie sich mit der Ju 52 im Anflug auf diesen Ort befände. Der Flug wurde daraufhin in der Surselva in östlicher Richtung und auf rund 2500 m/M weitergeführt. Um 16:51 Uhr überquerte das Flugzeug in der Region Ilanz mit einem nordöstlichen Kurs das Vorderrheintal und führte zunächst eine relativ enge Kurve nach links aus, die es über die Ortschaft Ruschein brachte. In der Folge führte der Flugweg in generell nördlicher Richtung vorbei am Crap Sogn Gion in Richtung des Talkessels südwestlich des Piz Segnas. Der Anflug auf diesen Talkessel erfolgte anfänglich auf der in Flugrichtung linken, westlichen Talseite. Die HB-HOT befand sich dabei im Steigflug und erreichte in der Region Nagens eine Höhe von 2833 m/M.

Rekonstruktion der letzten Flugminuten

Um 16:56:02 Uhr wurde die Drehzahl der drei Motoren um je ungefähr 40 Umdrehungen pro Minute erhöht. Um 16:56:09 Uhr flog die HB-HOT auf einer Höhe von 2755 m/M in den Talkessel südwestlich des Piz Segnas ein und befand sich damit rund 130 m höher als der Segnespass. Die Flugbesatzung steuerte in der Folge das Flugzeug annähernd in der Talmitte auf einem nord-nordöstlichen Kurs. Die HB-HOT stieg in dieser Phase leicht, der Flugbahnwinkel betrug ungefähr 2 Grad und der Längslagewinkel blieb weiterhin bei 5 bis 7 Grad. Um 16:56:17 Uhr erreichte das Flugzeug eine Höhe von 2767 m/M und befand sich damit rund 140 m höher als der Segnespass. Die HB-HOT flog dabei an den Tschingelhörnern vorbei und begann nun abzusinken, wobei sie in rund 6 Sekunden mehr als 15 m Höhe verlor. In dieser Phase wurde die Leistung der Motoren zügig um 30 bis 50 Umdrehungen pro Minute reduziert, was dazu führte, dass die Drehzahlen der Motoren zunehmend in einem engeren Band zu liegen kamen. Während dieses Vorgangs erhöhte sich der Längslagewinkel und der Flugbahnwinkel nahm fortwährend grössere negative Werte an.

Als sich das Flugzeug ungefähr querab des Martinslochs und auf einer Höhe von rund 2766 m/M befand (Punkt F8), leitete die Flugbesatzung während des Sinkfluges eine Rechtskurve ein und führte anschliessend einen Kurvenwechsel nach links durch. Die Geschwindigkeit über Grund betrug dabei ungefähr 170 km/h und die Winkeldifferenz zwischen Längslagewinkel und Flugbahnwinkel nahm während der Rechtskurve auf rund 15 Grad zu. Beim Übergang in die Linkskurve betrug der Längslagewinkel rund 11 Grad und der Flugbahnwinkel lag bei ungefähr -10 Grad. Zu diesem Zeitpunkt flog das Flugzeug gegenüber dem Segnespass mit einer Überhöhung von rund 125 m.

Die letzten Minuten der HB-HOT

Während den folgenden rund 4 Sekunden sank das Flugzeug um 25 m ab und der bereits negative Flugbahnwinkel vergrösserte sich weiter. Die Rollbewegung nach links nahm stetig zu und verringerte sich auch nicht, als ein deutlicher Querruderausschlag nach rechts erfolgte. In der Folge wurden die Querruder in Neutralstellung gebracht und zeitweise in eine Lage für eine Linkskurve ausgeschlagen. Gleichzeitig begann sich der Längslagewinkel zu verkleinern und die Flugbahn wurde mit ständig wachsender Querlage nach links zunehmend steiler nach unten.

Während dieser letzten Flugphase traten niederfrequente Schwingungen des Flugzeuges auf. Als sich das Flugzeug schliesslich noch 108 m über Grund befand, zeigte seine Längsachse um 68 Grad gegenüber der Horizontalen nach unten. Das Höhenruder war zu diesem Zeitpunkt um ungefähr 13 Grad nach oben ausgeschlagen und das Seitenruder zeigte um 2 Grad nach rechts.

Die Drehzahlen der drei Motoren waren gegenüber dem Beginn des spiralförmigen Sinkfluges leicht angestiegen und betrugen kurz vor dem Aufprall zwischen 1720 und 1750 Umdrehungen pro Minute. Die Rollbewegung nach links beschleunigte sich in dieser Phase deutlich.

Das Flugzeug prallte kurz nach 16:57 Uhr in einer vertikalen Fluglage, mit annähernd senkrechter Flugbahn und bei einer Geschwindigkeit von rund 200 km/h auf den Boden.

Alle 20 Personen an Bord des Flugzeuges kamen beim Unfall ums Leben. Das Flugzeug wurde zerstört. Rekonstruktionen ergaben gemäss SUST, dass die HB-HOT zum Zeitpunkt des Unfalls eine Schwerpunktlage von 2.071 m hinter der Flügeleintrittskante aufwies. Im vorhandenen Foto- und Videomaterial aus dem Innern der HB-HOT fanden sich keine Hinweise darauf, dass sich während des Einflugs in den Talkessel südwestlich des Piz Segnas und bis zum Beginn des spiralförmigen Sinkfluges Personen im Flugzeug bewegten bzw. dass die Personen nicht auf ihren Plätzen sassen.

Beweismittel der SUST

Gemäss Unfallbericht traf die Meldung über den Absturz um 17:04 Uhr beim Pikettverantwortlichen der SUST ein. Die Untersuchung wurde am 4. August 2018 um 17:55 Uhr durch die SUST in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei Graubünden eröffnet. Die SUST informierte folgende Staaten über den Unfall: Deutschland und Österreich. Beide Staaten ernannten bevollmächtigte Vertreter. Die französische Untersuchungsbehörde Bureau d’Enquêtes et d’Analyses pour la sécurité de l’aviation civile (BEA) unterstützte die SUST bei der Aufbereitung und dem Auslesen der an der Unfallstelle sichergestellten Datenträger von Passagieren und Besatzungsmitgliedern.

Für die Untersuchung standen gemäss SUST folgende Grundlagen zur Verfügung:
• Beweissicherung vor Ort;
• Radaraufzeichnungen;
• GPS-Aufzeichnungen;
• Bild-, Video- und Tonaufnahmen;
• Befragungen;
• Dokumente der involvierten Unternehmen und Aufsichtsbehörden, Archivdokumente;
• technische Analyse des Flugzeugwracks;
• vertiefende Abklärungen und fachtechnische Gutachten.

Trotz fehlender aufschlagresistenter Aufzeichnungsgeräte im Flugzeug sei es mithilfe der vorgenannten Daten gelungen, den Unfall zu rekonstruieren, schreibt die SUST im Unfallbericht.

Unfallursache – Das Resultat der Untersuchung durch die SUST

Der Unfall ist gemäss SUST darauf zurückzuführen, dass nach einem Verlust der Kontrolle über das Flugzeug nicht genügend Raum vorhanden war, um dieses abzufangen, so dass es mit dem Gelände kollidierte. Die Untersuchung hat gemäss SUST folgende direkte kausale Faktoren für den Unfall ermittelt:

• Die Flugbesatzung führte das Flugzeug hochriskant, indem sie es in geringer Höhe und ohne Möglichkeit für einen alternativen Flugweg in ein enges Tal steuerte.
• Die Flugbesatzung wählte in Bezug auf den Flugweg eine gefährlich tiefe Fluggeschwindigkeit.

«Beide Faktoren bewirkten, dass durch in solchen Situationen zu erwartende Turbulenz nicht nur ein kurzzeitiger Strömungsabriss (stall) mit einem Kontrollverlust, sondern auch eine ausweglose Situation entstehen konnte.»

Direkt beitragende Faktoren
Die Untersuchung hat laut Schlussbericht folgende Faktoren als direkt beitragend zum Unfall ermittelt:

• Die Flugbesatzung war sich gewohnt, anerkannte Regeln für einen sicheren Flugbetrieb nicht einzuhalten und hohe Risiken einzugehen.
• Das verunfallte Flugzeug wurde mit einer Schwerpunktlage betrieben, die ausserhalb der hinteren Begrenzung lag, was den Kontrollverlust begünstigte.

Systemische Ursache
Die Untersuchung hat folgende systemische Ursache für den Unfall ermittelt:

• Die Voraussetzungen für einen gewerblichen Luftverkehrsbetrieb des Flugzeuges waren vor dem Hintergrund der zum Unfallzeitpunkt geltenden Rechtsgrundlagen nicht gegeben.

Systemisch beitragende Faktoren
Die Untersuchung, so der Schlussbericht, hat folgende Faktoren als systemisch beitragend zum Unfall ermittelt:

• Die Massen- und Schwerpunktberechnung der Ju 52 des Flugbetriebsunternehmens konnte aufgrund mangelhafter Arbeitsmittel nur fehlerhaft durchgeführt werden.
• Insbesondere die Flugbesatzungen des Flugbetriebsunternehmens, die eine Ausbildung als Luftwaffenpiloten aufwiesen, zeigten beim Fliegen der Ju 52 die Gewohnheit, systematisch anerkannte Regeln der Luftfahrt nicht einzuhalten und hohe Risiken einzugehen.

Das Flugbetriebsunternehmen war nicht in der Lage, die während des Betriebes auftretenden Mängel und Risiken sowie die häufig begangenen Regelbrüche seiner Flugbesatzungen zu erkennen bzw. zu verhindern.

• Zahlreiche Zwischenfälle bis hin zu mehreren schweren Vorfällen wurden den zuständigen Stellen und Behörden nicht gemeldet, so dass diese keine sicherheitsverbessernden Massnahmen ergreifen konnten.
• Die Aufsichtsbehörde war teilweise nicht in der Lage, die zahlreichen betrieblichen Mängel und Risiken zu erkennen bzw. korrigierend einzugreifen.

Sicherheitsempfehlungen und Massnahmen

Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle erstellte über den vorliegend untersuchten Unfall einen Zwischenbericht. In diesem Zwischenbericht sprach die SUST die Sicherheitsempfehlung Nr. 548 und den Sicherheitshinweis Nr. 25 aus. Im Rahmen des Schlussberichts spricht die SUST die Sicherheitsempfehlungen Nr. 561 bis 567 und die Sicherheitshinweise Nr. 32 bis 37 aus.

Am 16. November 2018 entzog das BAZL durch eine Verfügung die Lufttüchtigkeitszeugnisse der Schwesterflugzeuge HB-HOP und HB-HOS der Ju-Air.

Mit Stellungnahme vom 29. Juli 2020 meldete das BAZL diverse Massnahmen, die es zur Verbesserung der Flugsicherheit ergriffen habe und die am Ende des Schlussberichts aufgeführt sind.
Unter anderem wurde im BAZL ein Projekt aufgesetzt, welches dem Umstand der alternden Luftfahrzeuge Rechnung trägt. Es wurde eine Risiko-Beurteilung diesbezüglich durchgeführt, welche auch in die geplante Gesetzesänderung einfliessen soll.

Das BAZL hat ausserdem seine Prozesse zur Einschätzung der Risiken der Flugbetriebe ergänzt und verfeinert. Damit soll sichergestellt werden, dass die Aufsichtsplanung besondere, vom Regelwerk zu wenig adressierte Risiken, erfasst. Diese vertiefte Risikobewertung wird seit 2019 angewendet.

Dies ist eine unkommentierte Zusammenfassung des SUST-Berichts Nr. 2370, die ausschliesslich Teile aus dessen Inhalt wiedergibt. Ein Update unter Berücksichtigung differenzierter Blickwinkel folgt im Verlauf dieses Tages.