Im August hat die Swiss als erste europäische Airline und als erstes grosses Schweizer Unternehmen angekündigt, ein Impfobligatorium einzuführen. Bei der Swiss betrifft dies das fliegende Personal. Konkret bedeutet dies: Wer bis zum 15. November nicht vollständig geimpft war, wird spätestens ab dem 1. Dezember nicht mehr im Flugdienst eingesetzt. Immerhin kann das Arbeitsverhältnis – notabene ohne Lohn – für ein Jahr eingefroren werden. Bei nachgeholter Impfung ist eine Rückkehr in den Flugdienst gemäss Swiss wieder möglich.

«Kein indirekter Stellenabbau»

Die Swiss begründet das Impfobligatorium offiziell mit «fürsorglichen und operationellen Gründen». Den Vorwurf, die Swiss betreibe mit dem Entscheid indirekten Stellenabbau, weist die Airline zurück. «Die Planung, beziehungsweise die Einführung der Massnahmen zum Stellenabbau wurde vor der Einführung des Impfobligatoriums für das fliegende Personal vorgenommen und steht somit in keinem Zusammenhang mit der Impfpflicht. Es ist kein weiterer Stellenabbau vorgesehen, vielmehr zählen wir darauf, dass die bestehende Belegschaft an Bord bleibt», teilt ein Sprecher der Swiss auf Anfrage mit. Es treffe ausserdem nicht zu, dass die Swiss auch ohne die ungeimpften Angestellten einen Personalmangel zu beklagen habe bzw. nach wie vor ein deutlicher personeller Überbestand herrsche.

Mit Kündigung rechnen

Und trotzdem müssen Mitarbeitende, die sich gegen eine Impfung entscheiden, mit der Kündigung rechnen. Allerdings greift hier das sogenannte Stufenverfahren. Die Gesamtarbeitsverträge (GAV) für das fliegende Personal der Swiss sehen grundsätzlich vor, dass bei Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ein Stufenverfahren eingehalten werden muss, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Dies bedeutet unter anderem, dass es vor einer Kündigung eine schriftliche Verwarnung/Ermahnung und/oder Kündigungsandrohung erfolgt, sofern keine Ausnahme gemäss GAV vorliegt. «Crew Member, die sich aufgrund ihres Entscheides gegen eine Impfung beruflich neu orientieren müssen, werden von Swiss bei ihrer beruflichen Neuorientierung unterstützt», lässt die Fluggesellschaft verlauten. Die Details dazu seien in Ausarbeitung.

Impfpflicht für Fluggäste derzeit nicht vorgesehen

Zur Rechtfertigung des Impfobligatoriums für das fliegende Personal führt die Swiss ferner operationelle Gründe an. «Die unterschiedliche Handhabung geimpfter und ungeimpfter Besatzungsmitglieder und die damit verbundene hohe Komplexität der Einsatzplanung hätten zur Folge, dass auf mittel- und langfristige Sicht kein geordneter Flugbetrieb mehr sichergestellt werden könnte. Einzelne Destinationen und Regionen könnten nicht mehr bedient werden, dies würde das Hubsystem signifikant beeinträchtigen. Zudem führt eine unterschiedliche Handhabung zu Ungleichbehandlungen bei der Einsetzbarkeit der Besatzungsmitglieder», schreibt die Swiss auf Anfrage.

Die Massnahmen gelten gemäss Swiss bis auf weiteres. Ab dem 1. Dezember wird jedoch in allen Swiss-Gebäuden in der Schweiz ein 3G-Zertifikat erforderlich sein. Eine Impfpflicht für das Bodenpersonal ist derzeit nicht vorgesehen; und auch nicht für Fluggäste, wie die Swiss bestätigt.

Auf die Frage nach der Regelung von Schadensersatzansprüchen bei möglichen Impfschäden geht die Swiss nicht explizit ein, sondern stützt sich auf die aktuellen Empfehlungen und Einschätzungen von Fachbehörden wie BAG, WHO, EASA und FAA.

Die Haltung der Verbände

«Die Antwort auf die Frage, ob das Impfobligatorium bei Swiss rechtmässig ist, hängt nach Meinung des Pilotenverbands massgeblich von der Verhältnismässigkeit dieser Massnahme ab. Die Verhältnismässigkeit jedoch ist situationsabhängig und somit dynamisch», schreibt die Aeropers in einer Mitteilung. Entgegen der ursprünglichen Einschätzung haben sich die Einreisebestimmungen nicht im erwarteten Mass verschärft, sodass die Verhältnismässigkeit aus rein betrieblichen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorliege. Der Pilotenverband sei aber trotzdem der Meinung, dass die Verhältnismässigkeit, basierend auf der Fürsorgeplicht der Swiss, aktuell gegeben sei. Da die Einreisebestimmungen sehr volatil seien, könnten aber auch betriebliche Gründe die Verhältnismässigkeit sehr bald zusätzlich stützen. «Uns ist bewusst, dass diese Situation für Pilotinnen und Piloten, welche sich nicht für eine Impfung entscheiden wollen oder können, sehr schwierig ist», sagt Aeropers-Mediensprecher Thomas Steffen. «Wir unterstützen unsere Mitglieder in der Wahrnehmung ihrer Rechte. Am Ende des im GAV festgelegten Prozesses sind, je nach Verlauf, Kündigungen jedoch möglich.» 

Verständnis für die Problematik der Betroffenen legt zwar auch die Kapers an den Tag. Das ändert aber wenig an den Tatsachen und trägt im besten Fall zur Schadensbegrenzung bei: «Wir bedauern sehr, dass die die Swiss die Freiwilligkeit der Impfung nicht aufrechterhalten wird», teilt die Gewerkschaft des Kabinenpersonals, mit. Die Kapers habe sichergestellt, dass während der Kündigungsfrist und besonders einer Freistellung die Lohnfortzahlung gesichert sei. Ausserdem habe sich die Kapers eingesetzt, dass betroffene Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit haben, in einem «Ruhenden Arbeitsverhältnis» eine bis zu einjährige Bedenkzeit zu ihrem Entscheid in Anspruch zu nehmen.

Die Stimme der Betroffenen

Über diese Sachebene hinaus wollte «Cockpit»-Online wissen, wie die direktbetroffenen Mitarbeitenden die Situation empfinden und wie sie damit umgehen. Im Gespräch mit David Hirt*, einem der Mitbegründer der Airliners for Humanity, erzählt der Swiss-Captain, was er derzeit in seiner Arbeit bei der Vereinigung erlebt. Er greift dabei auch menschliche Aspekte auf und berichtet von den Nöten, in die viele Swiss-Mitarbeitende durch den Entscheid ihrer Arbeitgeberin gestürzt worden sind.


«Cockpit«-Online: Herr Hirt, Sie haben die Airliners for Humanity mitgegründet. Was hat Sie motiviert, sich auf diese Weise zu engagieren?
David Hirt: Wir erkennen täglich die Not der Betroffenen und auch ihre Dankbarkeit, mit ihren unbeantworteten Fragen und Ängsten nicht alleine zu sein. Die Idee, welche aus der Not entstanden ist, deckt offensichtlich ein Bedürfnis vieler ab und entwickelt sich mit den zu behandelnden Themen schon fast zu einem Selbstläufer.

Was meinen sie mit Selbstläufer?
Nebst dem Zuwachs von neuen Teilnehmern werden wir seit Beginn unserer Arbeit auch von anderen Airline-Gruppierungen kontaktiert, die mit uns zusammenarbeiten, um Synergien zu nützen. So entstanden die Verknüpfungen mit den Gruppen aus Deutschland und Österreich, welche sich AfH angeschlossen haben.

Birgt das nicht auch Gefahren?
Wir sind uns möglicher Gefahren bewusst, wie zum Bespiel vorzeitige arbeitsrechtliche Konsequenzen. Wir erhalten aus diversen Fachgebieten auch professionelle Unterstützung. Und wir schützen die Anonymität unserer Teilnehmer. Die Teilnehmer verspüren auch, dass bei uns aktiv etwas unternommen wird. Es sind bereits unabhängige Projekte entstanden, welche nicht von uns waren, aber auf uns hingewiesen haben. Darunter waren auch sehr schöne und eindrückliche Aktionen.

Zum Beispiel?
Videos, die mit ihren persönlichen Emotionen eindrücklich und auch erschütternd zeigen, was momentan passiert. Schicksale, die nun vielleicht vielen bewusst werden, wenn sie diese Videos ansehen und bereit sind, sich damit auseinanderzusetzen.

Geht es bei Ihrer Gruppe nicht um etwas ganz anderes?  
Diese Projekte, auf die wir teilweise auch gar keinen Einfluss haben, wirken bisher unterstützend, um vermehrt Aufmerksamkeit zu erreichen. Im Grundsatz geht es uns um eine faire Behandlung und Anhörung der Anliegen von betroffenen Besatzungsmitgliedern. Eine kooperative Zusammenarbeit und das Finden von Lösungen. Im konkreten Fall darum, dass ein Impfentscheid betreffend dieser Covid-Impfungen unbedingt freiwillig bleiben muss, ohne Angst vor beruflichen Konsequenzen haben zu müssen. Die Covid-Impfungen darf man nicht mit der Gelbfieder-Impfung gleichsetzen, welche seit Jahrzehnten für gewisse Destinationen vorgeschrieben ist. Sie hat sich ohne nennenswerte Nebenwirkungen bewährt.
Wir wollen zudem einen wichtigen Beitrag zur ganzheitlichen Aufrechterhaltung der Flugsicherheit leisten und Arbeitsplätze schützen.

Wieviele Mitglieder zählt AfH?
Das ist eine komplexe Frage. Je nachdem, ob wir von Unterstützenden, Teilnehmern weltweit, Teilnehmer aus der Schweiz oder lediglich von der Swiss sprechen. Da die Sorgen und Bedenken nicht bloss eine schweizerische Angelegenheit sind, gehen wir davon aus, dass sich weltweit Zehntausende zusammen finden werden. Nur schon im Gebiet Schweiz, Österreich und Deutschland ist die Mitgliederzahl in einem schönen vierstelligen Bereich und wächst stetig.

Sie sprechen von Sorgen und Bedenken. Was sind konkret die Anliegen der Vereinigung?
Wir stehen symbolisch und stellvertretend für eine Branche, in der bisher so viel für die Sicherheit getan wurde, wie sonst in nur wenigen anderen Branchen. Die Sicherheitsstandards sind enorm hoch. Allein für die Zertifizierung eines Flugzeuges gibt es immense Auflagen, welche erfüllt werden müssen, um eine Zulassung zu bekommen. Und jetzt soll etwas Neuartiges, noch ohne abschliessende Daten, ganz plötzlich bei fliegenden Personengruppen schon fast «vorreitermässig» angewendet werden, ohne ein zuverlässiges Risiko-Nutzen-Verhältnis beurteilen zu können? Wir operieren in einem high reliability Unternehmen, wo eine hohe Sicherheitskultur gelebt und erwartet wird.

Bisher scheint es aber problemlos zu funktionieren?
Die Boeing 737 Max funktionierte zu Beginn auch problemlos. Uns geht es grundsätzlich nicht darum, den Impfstoffe schlecht zu reden. Es soll unserer Meinung nach auf einer deutlich längeren Zeitachse zuerst genau geprüft werden, wie sich diese Impfstoffe auswirken, mittel-und langfristig, bevor jemand dazu gezwungen werden kann. Speziell in der Luftfahrtbranche. Und von wegen problemlos… da gibt es ja bereits mehrere nicht mehr zu negierende Vorfälle, welche nun doch Anlass zu einer gründlicheren Überprüfung geben sollten.

Was sind denn Ihre konkreten Bedenken?
Wissen wir denn so genau, was nun in unseren Körpern vorgeht? Von welchen Gefahren muss heute und in näherer Zukunft möglicherweise ausgegangen werden? All diese Fragen können bis heute gar nicht zuverlässig genug beantwortet werden. Selbst ein Vertreter von Swissmedic sagte unlängst: «Wir wissen ganz klar nicht, ob es irgendwelche Langzeitschäden in 2 oder 10 Jahren gibt.» So ein Vorgehen muss unbedingt verhindert werden, zum Schutz aller Beteiligten.

Sie wollen sich also nicht impfen lassen?
Das soll eine persönliche Entscheidung bleiben. Die Gesundheit des Individuums kurz-, mittel-und langfristig, insbesondere im Kontext der Flugsicherheit, steht im Vordergrund. Unsere Gruppe ist offen für alle Mitarbeitenden aus der Flugbranche. Wir haben Ungeimpfte, Geimpfte und noch Unentschlossene in unserer Gruppe. Ich denke, viele haben auch keine Mühe mit Impfungen per se. Was aber alle von ihnen haben, sind Fragen, welche bisher nicht beantwortet wurden oder einfach noch nicht beantwortet werden können. Das grosse Anliegen ist, dass es ein freier Entscheid bleiben soll, zumindest in der Zeit, wo weltweit noch gar keine Daten zur mittel- und langfristigen Sicherheit des Impfstoffes vorliegen; und solange man die Risiken mittel-und langfristig nicht einschätzen kann.
Wir haben auch viele geimpfte Mitglieder, die sich für uns einsetzen und kein repetitives Impfobligatorium befürworten können. Bei jedem Zertifikatsablauf wäre nach aktuellem Kenntnisstand ja eine Auffrischimpfung wieder Bedingung, um im Beruf bleiben zu dürfen.

Nun sind Sie aber gemäss Ihrem GAV vertraglich zu dieser Impfung verpflichtet.
Ich stelle mal eine Gegenfrage: Kann man zu etwas zustimmen, das zur Zeit der Unterzeichnung noch gar nicht vorlag oder abgeschlossen beurteilbar ist?

Sie meinen die Impfstoffe?
Genau. Die Verträge wurden 2015 respektive 2018 unterzeichnet. Damals waren Gen-basierte Vektorimpfstoffe oder mRNA Impfstoffe noch gar nicht im Humaneinsatz. Allenfalls wurde schon Forschung damit betrieben. Zumindest wusste damals noch niemand, wie solche Impfstoffe funktionieren. mRNA hat es 2020 erstmalig in der Geschichte zu einer bedingten Zulassung geschafft. Es ist also ein Novum. Dazu noch von Herstellern, welche jeweils erstmalig überhaupt ein Produkt auf den Markt gebracht haben.

Wenn ich Ihre Aussage richtig interpretiere, ist Ihrer Meinung nach der Artikel im GAV nicht anwendbar?
Wie schon gesagt: wie kann man etwas zustimmen, welches zum Zeitpunkt der Unterzeichnung gar nicht vorhanden oder beurteilbar war? Wir sind der Meinung, dieser Vertragsartikel hätte mit Bezug auf die Covid-Impfstoffe neu ausgehandelt werden müssen, bevor er als Obligatorium geltend gemacht werden kann. Aber auch dann: Es sind immer noch nicht vollständig zugelassene Impfstoffe, die zuerst alle Studien abschliessen müssen. Bis das der Fall ist, dürfte ja auch gesetzlich kein Druck auf diesen freiwilligen Entscheid gemacht werden. Auch das wäre eigentlich gesetzlich so geregelt.

Swiss sagt aber etwas anderes. Sie spricht von einer Pflichtverletzung.
Den Vorwurf einer Pflichtverletzung können wir keinesfalls gelten lassen. Klar, bisher konnte Swiss ja auch eine Gelbfieberimpfung verlangen. Aber 80 Jahre Impferfahrung und 11 Monate Impferfahrung sind doch noch ein enormer Unterschied. Und wenn man die Zahlen über Nebenwirkungen oder Todesfälle von Gelbfieberimpfstoffen mit denen von «Covid-19 Impfstoffen» vergleicht, wird unmittelbar klar, dass die Gelbfieberimpfung nicht als Legitimierung und als Vergleich genommen werden kann.

Wie hoch ist denn die Impfquote momentan?
Die neusten Zahlen wissen wir nicht. Aber gemäss unserer Arbeitgeberin sind rund 80% der Piloten und 60% der Kabinenbesatzung geimpft.

Die Swiss macht fürsorgliche und operationelle Gründe für das Obligatorium geltend.
Das müssen wir unterscheiden. Fürsorgliche Gründe? Inwiefern? Das haben wir uns auch gefragt. Seit Beginn der Pandemie wird bei allen Airlines gesagt, dass im Flugzeug das Ansteckungsrisiko sehr gering ist. Es liegen ja auch anscheinend keine Fälle einer Ansteckung an Board vor. Das heisst, es besteht somit ja keine besonders gefährliche Lage, welche einer speziellen Fürsorge mittels Impfung benötigen würde.

Für die Swiss ist es aber ein Argument.
Was steht denn auf der anderen Seite als Option? Ein unbekanntes Risiko gegenüber einem inzwischen bekannten Risiko? Fürsorge ist unserer Meinung nach auch, allen Mitarbeitenden eine Perspektive zu geben und individuelle Lösungen zu erarbeiten. Die angekündigte Entlassung kurz vor Weihnachten in einer ohnehin schwierigen gesellschaftlichen Lage, ist für uns auch nicht wirklich etwas mit fürsorglichem Charakter.

Die Swiss hat offeriert, dass Unentschlossene die Möglichkeit bekommen, für 6 Monate ein ruhendes Arbeitsverhältnis einzugehen.
Inzwischen sind es sogar 12 Monate. Aber das spielt ja eigentlich für die meisten keine grosse Rolle. Wer sich noch nicht impfen lassen möchte, muss per 1. Januar auf den Lohn verzichten. Bis zu einem Jahr bekommt man dann gehaltlose Bedenkzeit, damit man schliesslich trotzdem wieder in derselben Situation wie heute ist?

Nicht unbedingt. Es gibt ja vielleicht bis dann andere Impfstoffe?
Darauf warten ja auch einige. Aber warum muss dieser individuelle, persönliche Entscheid mit – für viele – existentiellen Risiken «erkauft» werden? In diesen Monaten könnten alle Mitarbeiter ja weiterhin im Flugbetrieb eingesetzt werden und die geimpften Kollegen und Kolleginnen entlasten. Was ausserdem für uns nicht nachvollziehbar ist, ist die Tatsache, dass der Genesenen-Status mindestens bei Pilotinnen und Piloten offenbar keine Geltung hat. Auch genesene Crew Member müssen den Nachweis vorlegen, dass sie – in diesem Fall mit einer einzelnen Dosis – geimpft sind. Insbesondere auf der Kurzstrecke wäre unserer Meinung nach 2G aber problemlos umsetzbar.

Ein guter Moment, um auf die operationellen Gründe einzugehen. Swiss sagt, die hohe Komplexität bei der Einsatzplanung sei ein Grund. Es könne auf mittel- und langfristige Sicht hin kein geordneter Flugdienst mehr sichergestellt werden. Wie sehen sie das?
Aktuell gibt es im Swiss Streckennetz erst drei Destinationen mit erhöhten Anforderungen an die Besatzungsmitglieder: Hongkong, Singapur und Kanada. Wir können durchaus nachvollziehen, dass sich die Swiss hierzu Überlegungen machen muss. Wir wären auch bereit da mitzuhelfen. Es geht vor allem darum, dass auf gewissen Einsätzen 3G oder Impfnachweise verlangt werden. Es zeichnet sich aber auch ab, dass in verschiedenen Ländern nicht eingetroffen ist, was befürchtet wurde. Die USA zum Beispiel verlangt für Crews keinen Impfnachweis, was den Befürchtungen klar entgegensteht. Es ist also eine Entschärfung der Situation eingetroffen. Swiss bleibt aber strikte bei ihrem Entscheid. Wir sind der Meinung, dass man nun in den weniger ausgelasteten kommenden Monaten durchaus die Lage beobachten, die allenfalls komplexere Einsatzplanung evaluieren kann und die Mitarbeiter somit ihren Arbeitsplatz bis auf weiteres behalten könnten.

Swiss-CEO Dieter Vranckx will eine Diskriminierung von geimpften Mitarbeitern verhindern, da die geimpften Mitarbeitenden eher unbeliebte Destinationen wie Hongkong fliegen müssten und die nicht geimpften die angenehmeren Flüge erhalten würden.
Gegenfrage: Wenn die nicht geimpften per 1. Dezember nicht mehr im Flugbetrieb eingesetzt werden, wer fliegt dann nach Hongkong? Und wie steht das Verhältnis zwischen angeblicher Diskriminierung der Geimpften und einer Kündigung von nicht Geimpften? Eine Entlastung der Geimpften wäre doch damit gar nicht effektiv. Im Gegenteil: Da schliesslich Personal fehlt müssen die geimpften Mitarbeiter noch zusätzliche Flüge übernehmen. Das wäre unserer Meinung nach allseitig diskriminierend. Die einen werden entlassen, die anderen müssen mehr fliegen? Letztendlich sind wir alles Kollegen, die seit Jahren auch schon andere schwierige Zeiten durchlebt und zusammengehalten haben. Auch für die jetzige Situation sehe ich bessere operationelle Lösungen, die es ermöglichen, alle Arbeitnehmer an Board zu behalten.

Die wären?
Kennen Sie das Beispiel wo sich zwei Menschen um eine Orange streiten?

Nein.
Sie streiten sich so lange bis jemand mal fragt, warum sie denn beide die Orange haben wollen. Es stellt sich heraus, dass der eine nur den Saft wollte, der andere nur die Schale. Also ein unnötiger Streit, wären die Bedürfnisse beider klar gewesen.

Was ist denn Ihrer Meinung nach die Lösung?
Einfach mal anzuhören und zu evaluieren, wo denn die individuellen Bedürfnisse oder Möglichkeiten wären. Es gab bisher noch keinen Dialog oder Aufruf dazu, dass man Hilfe anbieten könnte. Europastrecken sind per se noch kein Problem. Mit den aktuellen Beständen ist die Bewirtschaftung der Europastrecken problemlos ohne Kündigungen möglich. Da wären vielleicht auch einige Kollegen bereit dazu, den Platz auf der Langstrecke freizugeben. Das nur als Beispiel. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Ist das nicht zu komplex?
Es ist sicher ein Aufwand. Aber da wir momentan genügend Personal haben, wären zur Zeit solche individuellen Lösungen bestimmt am Besten machbar. Im nächsten Sommer gehen solche Anpassung dann vielleicht nicht mehr. Wir denken auch in die Zukunft. Was passiert, wenn dann die dritte Impfung zur Pflicht wird? Was, wenn dann einige nicht mehr mitmachen wollen? Eine weitere Kündigungswelle – und erneut werden bestens ausgebildete langjährige Mitarbeiter fehlen?

Halten wir fest: Ihrer Meinung nach ist das Obligatorium weder notwendig noch gerechtfertigt?
Genau, es gibt unseres Erachtens keinen genügend belastbaren Grund dazu.

Gab es Gespräche zwischen Swiss und AfH?
Es gab bisher ein Gespräch zwischen Swiss und AfH, wo alle Punkte, Anliegen und Fragen platziert wurden, mit der Bitte, diese zu beantworten. Ausserdem haben wir unsere Position und unsere Fragen auch schriftlich mehrfach und ausführlich dargelegt.

Mit welchem Ergebnis?
Leider wurde bis heute keine einzige Frage beantwortet und ein weiterer Dialog war seitens Swiss nicht erwünscht.

Wie stehen denn die Gewerkschaften zum Entscheid der Swiss?
Hier geht es um eine wichtige Grundsatzfrage: Wie setzen sich die Gewerkschaften zur Zeit für ihre zahlreichen Mitglieder ein, welche unserer Meinung nach weder rechtlich noch begründbar entlassen werden sollten. Wir können klar aufzeigen, dass es momentan weder eine betriebliche noch medizinische Notwendigkeit für ein Impfobligatorium gibt. Unserer Meinung nach verhält sich auch die rechtliche Situation klar zu unseren Gunsten. Leider wurden wir bisher von den Gewerkschaften nicht angehört. Wir haben mündlich und schriftlich auf ein klärendes Gespräch mit jeder der zwei Gewerkschaften (Aeropers und Kapers) hingewirkt. Leider ohne Erfolg.

Wie gehen ihre Teilnehmer damit um?
Wir hören und lesen von grossen Ängsten und spürbarer Verzweiflung. Wir erfahren aber auch sehr grossen Rückhalt und eine enorme Unterstützung!

Wie geht es weiter?
Wir standen bis jetzt mit Leidenschaft und Engagement für unseren Beruf und die Firma ein und sind stolz auf das bisher Geleistete. Wir leben für diese Firma. So werden wir uns auch weiter für die Swiss und unsere Kollegen einsetzen. Wir wollen gemeinsam in eine neue Ära abheben. Was wir von der Geschäftsleitung der Swiss verlangen ist, dass sie zusammen mit uns Lösungen erarbeitet. Es geht schliesslich um den Erhalt von Arbeitsplätzen.

Wie lange wird sich AfH engagieren?
Wir haben erst so richtig begonnen. Es entwickelt sich immer mehr zu einer Anlaufstelle für Besatzungsmitglieder diverser Airlines und vermehrt auch für Mitarbeitende der Bodencrews. Die Vernetzung findet ja auch international statt. Unser Engagement endet bestimmt nicht am 1. Dezember. Für uns ist klar: Die Geimpften von heute sind die Ungeimpften von morgen.

In welche Richtung wird sich die Situation bei der Swiss nach Einschätzung der AfH entwickeln, wenn das Impfobligatorium in der angekündigten Form umgesetzt wird?
Ich formuliere es gerne aus der Sicht der Fliegerei: Es gibt gemäss Aussage von Swiss nur noch diese eine Lösung. Wir wurden darauf trainiert, sich mit einer einzigen Option nie zufrieden zu geben. Wer als Pilot nur noch eine einzige Option hat, hat möglicherweise in der Situationsanalyse etwas übersehen oder ist bereits in einer äussersten Notlage. Optionen müssen grundsätzlich immer vorhanden sein. Jetzt bietet die Firma ebenfalls nur noch die eine Lösung an. Man kann sich also fragen: Will Swiss keine andere Option anbieten oder kann sie nicht mehr? Und wenn ja, warum kann sie nicht mehr? Warum ruft sie aus eigener Initiative das Obligatorium aus, obwohl es weder Bund noch Kantone verordnet haben? Warum gerade jetzt?

Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hirt.

 

*Auf Wunsch des Gesprächspartners bzw. aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird hier ein Pseudonym eingesetzt; die Identität ist der Redaktion bekannt.