Der Kurzstrecken-Flugverkehr steht in einigen Ländern unter starker Kritik. Besonders in Europa, das sich zum Ziel gesetzt hat, bis 2050 klimaneutral zu werden. Das trifft nicht auf alle Regionen der Welt zu. Moderne Regionalflugzeuge stehen kaum im Angebot. Die meisten Typen sind längst veraltet. Es gibt aber Regionen, in denen zum Beispiel die Küstenfliegerei oder das Überwinden von Bergregionen nicht nur Sinn macht, sondern wo auch keine Alternativen geboten werden können. Auch Flüge etwa von Zürich nach Lugano oder Sitten klimaneutral beflogen, dürfte keine Umweltverteidiger mehr auf die Barrikaden bringen.

Chancen für moderne Luftfahrzeuge

Hier eröffnen sich nun Chancen durch den Einsatz von emissionsfreien Flugzeugen modernster Prägung. Zum Beispiel für das schwedische Start-up-Unternehmen Heart Aerospace. Für seinen angedachten 19-Sitzer ES-19 konnte die in Göteborg/Südschweden angesiedelte Firma eine neue Finanzierungsrunde erfolgreich platzieren. Sie sammelten 35 Millionen US-Dollar (29,4 Millionen Euro) ein, die einen Teil der Entwicklung des zunächst rein elektrisch zu fliegenden Flugzeugs beitragen sollen.
Der Markt, nicht nur für diese kleinen Maschinen ist riesig, sondern er ist auch Ausgangslage für grössere Maschinen in der 30 bis 70-Sitzer-Klasse. War man noch gestern über die Beschaffung von Risikokapital für UAM in Milliardenhöhe erstaunt, so scheint langsam erkannt zu werden, wo die wirklich lukrativen Märkte liegen. Bei sehr niedrigen angesetzten und geschätzten 9 Millionen Dollar pro Flugzeug wird Heart Aerospace spätestens bis 2026 bei jetziger Ausgangslage mit drei Milliarden Dollar Umsatz kalkulieren können. Die Hochrechnung hierfür ist mehr als simpel, denn United Airlines und Mesa Air haben Kaufverträge für 200 Elektroflugzeuge vom Typ ES-19 sowie Optionen für 100 weitere Maschinen unterzeichnet. Dazu kommen 20 weitere bereits von Finnair avisierten Maschinen.

Schwedens Flughäfen bereiten sich vor

Anders Forslund, CEO von Heart Aerospacem ist selber überrascht. Erst 2019 gründete er sein Start-up Unternehmen. Es ging als Spinoff aus dem Elise-Forschungsprogramm hervor, das von der schwedischen Regierung über die schwedische Innovationsagentur Vinnova finanziert wurde. 2019 bezog das Unternehmen Büros und den Hangar am Säve-Airport in Göteborg. 2020 erhielt es zudem einen Zuschuss von 2,5 Millionen Euro vom Europäischen Investitionsrat als Teil des European Green Deal. Parallel wird in Schwedens Flughäfen die erforderliche Ladeinfrastruktur vorbereitet. Diese Massnahme soll bereits bis 2024 abgeschlossen sein.

Antrieb mit vier Motoren

In Entwicklung befindet sich gegenwärtig ein 400 kW-Antriebseinheit. Alle Komponenten sind Eigenentwicklungen. Dazu zählen der Batteriesatz mit dem BMS und der Inverter mit dem Controller und der Drehstrommotor. Vier Motoren sollen in den Flieger eingebaut werden. Die erste Generation der ES-19 soll mit derzeit verfügbaren Lithium-Ionen-Batterien bestückt werden, die das Flugzeug auf eine maximale Reichweite von bis zu 400 Kilometern bringen soll. Die Reichweite werde sich selbstverständlich erhöhen, wenn sich die Energiedichten der Batterien verbessern sollten, teilt das Start-up mit. Zunächst ist noch nicht an Wasserstoff gedacht, doch das wäre dann eine zusätzliche Trumpfkarte für das Flugzeug.

Warum vier Motoren gewählt wurden, könnte sich damit erklären lassen, dass man bei der jetzigen Lösung auch auf den «Blown-Lift-Effekt» setzt, denn Antriebe mit 800 kW bis 1 MW wären auch kein Hexenwerk. Bevor Strecken zwischen 1000 und 2000 Kilometer beflogen werden können, wird ein erstes Ziel darin bestehen, den Kurzstreckenverkehr zu dekarbonisieren.

Nordisches Netzwerk

Heart Aerospace gehört zu den Gründungsmitgliedern des 2019 ins Leben gerufenen Nordic Network for Electric Aviation (NEA). Über dieses Netzwerk kam auch der Letter of Interest zur Beschaffung von 20 E-Flugzeugen mit Finnair zustande. Das nordeuropäische Konsortium hat sich als Ziel gesetzt, die Entwicklung der elektrischen Luftfahrt voranzutreiben. Finnair gilt zusammen mit den beiden Fluglinien Scandinavian Airlines und Icelandair als Schwergewicht des Nordic Network for Electric Aviation. Die weiteren acht Gründungsmitglieder sind Air Greenland, Avinor, Braathens Regional Airlines, El-fly, Heart Aerospace, NISA (Nordic Innovation Sustainable Aviation), RISE und Swedavia. Als Koordinationsstelle agiert die Organisation Nordic Innovation, ein Gremium, das unter dem sogenannten Nordischen Rat die Förderung von grenzüberschreitendem Handel und Innovation verantwortet.

Zuwenig Personal in Schweden?

Heart Aerospace hat eine Niederlassung in Paolo Alto/Kalifornien gegründet. Dies wohl nicht ohne Grund, denn auf der einen Seite befinden sich die bedeutendsten und grössten Fluggesellschaften in den USA und zum anderen ist nicht auszuschliessen, das Anders Forslund zur Abarbeitung der Aufträge in Schweden nicht gerade das ideale Territorium vorfindet. Hochqualifizierte Flugzeugbauer finden sich nur bei Saab in Jönköping und Linköping. Eile zur Fertigstellung des ersten Prototyps ist jedenfalls angesagt, wenn man die Versprechen gegenüber den Airlines bis 2026 einhalten möchte.