«Cockpit»: Peter Merz, welches sind Ihre Aufgaben als Projektleiter Neues Kampfflugzeug der Luftwaffe?
Peter Merz: Mein Team und ich vertreten die Luftwaffen-Belange im Projekt «Neues Kampfflugzeug», welches von der armasuisse geführt wird. Wir helfen dabei mit, faktenbasierte Grundlagen für den Typenentscheid zu erarbeiten – und zwar für den Bundesrat, das Parlament und nicht zuletzt auch für die Bevölkerung.

Was für ein Leistungsniveau soll ein neues Kampfflugzeug erreichen?
Der sogenannte «Level of Ambition» lässt sich in drei Eskalationsstufen unterteilen. In der normalen Lage (Friedenszustand) muss die NKF-Flotte sicherstellen, dass unser Unterhaltspersonal, die Piloten und die Milizangehörigen trainieren und sich einsatzbereit halten können. Dafür braucht es eine gewisse Anzahl Flugzeuge und Flugstunden. Zudem muss die Flotte den Luftpolizeidienst rund um die Uhr (7/24/365) ermöglichen und im Stand sein, den Konferenzschutz sicherzustellen. In einer Krisensituation müssen permanent mindestens vier Flugzeuge während mindestens vier Wochen in der Luft sein können und den Schutz des Luftraums mit Unterstützung bodengestützter Interventionsmittel gewährleisten.

Und im Ernstfall?
Im Fall der Verteidigung wollen wir mit einer möglichst hohen Anfangsleistung und während einer beschränkten Zeit verhindern, dass ein Gegner die Hoheit über unseren Luftraum gewinnt, und sicherstellen, dass wir die Überlegenheit über unserem Territorium so lange wie möglich aufrechterhalten können – wiederum mit Unterstützung der Bodentruppen.

Zusätzlich soll die Luftwaffe wieder Kompetenzen erlangen, welche sie früher einmal hatte?
Das ist so. Wir wollen mit der Einführung des NKF zwei Fähigkeiten, die wir einmal hatten, zurückerlangen: nämlich die Unterstützung unserer Bodentruppen mit Hilfe der Erdkampf-Fähigkeit und die Fähigkeit zur Aufklärung mit Kampfflugzeugen.

Kommen wir zu den fünf NKF-Kandidaten.
Vorab möchte ich erwähnen, dass sich unser künftiges Kampfflugzeug im Hinblick auf die Beschaffungs-Konfiguration möglichst eng am Herstellerland beziehungsweise an seiner Luftwaffe orientieren soll. Wir versprechen uns durch möglichst wenige Schweizer Anpassungen Effizienz in Beschaffung und Betrieb. Die Kandidaten stammen aus Deutschland (Airbus Eurofighter), Frankreich (Dassault Rafale), Schweden (Gripen E) und den USA (Boeing F/A-18 Super Hornet, Lockheed-Martin F-35A). Wir haben deshalb mit jedem Kandidaten eine Referenzluftwaffe definiert, mit der wir uns intensiv austauschen. Beim Airbus Eurofighter, der als Ein- und Zweisitzer erhältlich ist, ist die Referenzluftwaffe Deutschland. Bei der Boeing F/A-18 Super Hornet fokussieren wir auf die Block 3--Variante; sie ist eine Weiterentwicklung der heutigen -Super Hornet und ist ebenfalls ein- und doppelsitzig erhältlich. Hier ist die US Navy unsere Referenz. Beim als Ein- und Zweisitzer erhältlichen Dassault Rafale Version F4 ist es die französische Armée de l’Air. Der Lockheed-Martin F-35A Lightning II mit der U.S. Air Force als unsere Referenz ist nur einsitzig erhältlich. Dasselbe gilt für den Saab Gripen E. Die schwedische Luftwaffe, auf die wir uns referenzieren, beschafft diesen als Einsitzer, weshalb auch wir uns auf diese Version fokussieren.

Ist es denkbar, dass die Piloten weder die F-35A noch den Gripen E fliegen können?
Ja, vermutlich wird das so sein. An dieser Stelle möchte ich allerdings erwähnen, dass die Luftwaffe grundsätzlich keine Forderung nach Zweisitzer-Flugzeugen hat. Wir wollen uns von den Kandidaten erklären lassen, wie sie ihr System betreiben. Die Ausbildung darauf muss sicher und effizient sein. Wenn sie zum Beispiel über -einen Simulator direkt auf das Flugzeug verläuft und uns überzeugt, kommen wir auch nur mit Einsitzern aus. 

Inwieweit sind die Flugzeuge noch vergleichbar mit der letzten Kampfjet-Evaluation vor zehn Jahren?
Das sind nicht mehr die gleichen Flugzeuge wie bei der letzten Erprobung im 2008. Sie sehen zwar noch ähnlich aus, wurden aber laufend weiterentwickelt. Deshalb können wir nicht mehr die Daten von damals verwenden und müssen die Kandidaten wieder detailliert prüfen.

Welches sind die wichtigsten Kriterien, die ein Kandidat in der Evaluation erfüllen muss?
Wir suchen das für die Schweiz am besten geeignete Kampfflugzeug und schauen das Gesamtpaket an. Es sind vier Hauptevaluationskriterien definiert: Wirksamkeit, Produktesupport, Kooperation und direkte Industriebeteiligung. Wir werden überprüfen, wie gut die Kandidaten unsere Anforderungen erfüllen. Wir sind daran interessiert, das neue Kampfflugzeug so effizient wie möglich zu betreiben. Es kann in Friedenszeiten und soweit es die Neutralität zulässt, durchaus Sinn machen, mit einem anderen Staat gemeinsam auszubilden, zu trainieren oder die Ersatzteilbewirtschaftung zu betreiben. Das Flugzeug soll demnach mit westlicher Technologie interoperabel sein. Indes: Wir müssen jederzeit im Stand sein, das NKF etwa bei geschlossenen Landesgrenzen oder im Verteidigungsfall möglichst autonom zu betreiben.

Wie weit ist die Beschaffungsplanung fortgeschritten?
Wir befinden uns am Schluss der Initialisierungsphase der Evaluation. Die Führung des Projekts während dieser Phase liegt beim Armeestab. Die Anforderungen an das NKF werden derzeit finalisiert. Daraus und als Bestandteil der Offertanfrage entsteht ein Fragenkatalog an die Kandidaten, deren Antworten uns Hinweise geben werden, wie gut ihre Flugzeuge unsere Anforderungen erfüllen. Wir haben operationelle Szenarien kreiert, um den Kandidaten aufzuzeigen, welches Aufgabenspektrum erfüllt werden muss. Die Kandidaten sollen uns aufzeigen, wie sie mit ihrem Produkt unsere Aufgaben lösen würden – bis ins Detail. Dazu gehören etwa der Grundlastbetrieb im täglichen Einsatz, die 24-Stunden-Operation für den Luftpolizeidienst und den Konferenzschutz sowie Luftverteidigung, Aufklärung und Erdkampf. Eine wichtige Rolle spielt auch der Einfluss des NKF auf die Infrastruktur.

Wann werden die Hersteller zu einer Offerte eingeladen?
Wir stehen kurz davor, den Kandidaten die Offertanfrage zu überreichen. Damit geht die Führung des Projekts an die armasuisse über. Die Hersteller haben ein halbes Jahr Zeit, um unsere Offertanfrage zu beantworten. Im Frühsommer 2019 wird die Flugerprobung in der Schweiz stattfinden. Die Kandidaten müssen uns ihre Fähigkeiten im von uns gewünschten Aufgabenspektrum und im Schweizer Luftraum demonstrieren.

Wie muss man sich die fliegerische Erprobung vorstellen?
Diese wird rund die Hälfte der letzten und etwa einen Viertel der damaligen Erprobungsflüge der F/A-18 umfassen. Mit den heutigen Evaluations-Methoden können wir mit einem reduzierten fliegerischen Aufwand die für die Evaluation notwendigen Daten erhalten. Unsere Testpiloten und Flugversuchsingenieure werden im Simulator bei den Kandidaten ausgebildet. Sie holen sich damit das Rüstzeug, um die jeweiligen Flugzeugtypen kennenzulernen und zu beurteilen. Eine Woche lang wird in Payerne getestet, wo auch Lärmmessungen durchgeführt werden. Dies übrigens auch in Meiringen, damit wir eine Referenz haben für einen Mittelland- und einen Gebirgsflugplatz.

Wie werden die Ergebnisse der Flugerprobung ausgewertet?
Wir verfügen über ein integriertes Projektteam mit Experten aus allen relevanten Bereichen, welches die Antworten auf den Fragenkatalog und die Daten aus dem Simulator, der Bodenerprobung und der fliegerischen Erprobung systematisch auswertet. Auf Grund dieser Erkenntnisse werden wir gegen Ende 2019 eine zweite Offert-anfrage erstellen können. Diese Offerte muss bis zirka Mitte 2020 eingereicht werden und bildet mit dem im Anschluss zu erstellenden Evaluationsbericht die Basis für den Typenentscheid durch den Bundesrat Ende 2020.

Wann rechnen Sie mit der Unterzeichnung eines Kaufvertrags?
Im Jahr 2021 wird die Armeebotschaft erarbeitet und 2022 an das Parlament überwiesen. Auf anfangs 2023 ist die Vertragsunterzeichnung geplant und ab 2025 sollen die ersten Flugzeuge an die Luftwaffe ausgeliefert werden. So zumindest sieht unsere heutige Planung aus. Der ganze Prozess ist systematisch und nachvollziehbar aufgebaut. Wir wollen die Öffentlichkeit und die Politik laufend über den Fortschritt informieren und transparent erklären, warum die Schweiz ein neues Kampfflugzeug und ein bodengestütztes Luftverteidigungs-System braucht.

Oberst i Gst Peter Merz ist Projektleiter Neues Kampfflugzeug der Luftwaffe. Der F/A-18-Pilot war bereits bei der letzten Kampfjet-Evaluation operationeller Testpilot und kennt deshalb die Anforderungen an die Fähigkeiten eines Kampfflugzeugs aus eigener Erfahrung. Nach seiner militärischen Pilotenausbildung trat er 1990 ins Überwachungsgeschwader der Luftwaffe in Dübendorf ein. 2004 wurde er Kommandant der Fliegerstaffel 11, 2005 des Fliegergeschwaders 13 und am 1. Mai 2009 übernahm er bis 2015 das Kommando des Militärflugplatzes Meiringen. Anschliessend wurde Peter Merz Chef Operationen und Planung beim Luftwaffenstab in Bern, bevor er am 1. Oktober 2017 seine heutige Funktion übernahm. wy