«Cockpit»-Online: Herr Gygli, Sie haben kürzlich zusammen mit zwei weiteren Master-Studenten der HES-SO die Urban Air Mobility Association Switzerland (UAMAS) gegründet. Was ist der Hintergrund der UAMAS?
Stefan Gygli: Im Rahmen unseres Masterstudiums Betriebsökonomie an der westschweizer HES-SO wenden wir die erlernte Theorie im Rahmen des mehrjährigen Moduls «Venture in Action» in Freiburg gleich sehr konkret an: wir entwickeln eine Geschäftsidee und testen diese am Markt. Dabei werden wir eng durch die Dozenten begleitet und treffen uns regelmässig zu «Board meetings».

Welche Überlegungen haben zur Entscheidung geführt, eine Vereinigung dieser Art zu gründen?
Wir haben ganz am Anfang eine Möglichkeit gesucht, wie wir mit unserer Arbeit etwas nachhaltig positiv beeinflussen können. Dazu haben wir die UN Nachhaltigkeitsziele studiert. Als Aviatik-Enthusiast verfolge ich Projekte von elektrischen Senkrechtstartern (eVTOL) schon seit Jahren und plötzlich haben wir dann festgestellt, dass diese sogar diversen dieser Ziele helfen. Doch in der Öffentlichkeit kennt Urban Air Mobility kaum jemand, oder wenn dann, nur sehr oberflächlich und als «Zukunftsmusik». Zusätzlich haben erste Diskussion ergeben, dass die verschiedensten Stakeholder noch kaum zusammen reden. Da sahen wir Potential.
Und schliesslich finden wir am Gedanken, auf sehr effiziente, direkte und nachhaltige Mobilität in der Luft zu setzen, sehr gefallen. In der Schweiz wäre ja auch jeder Flug ein bisschen Sightseeing!

Was wollen Sie konkret mit UAMAS bezwecken?
Wir möchten einerseits der breiten Öffentlichkeit als neutrale Kompetenzstelle zur Verfügung stehen und auch die Pläne im Bereich Urban Air Mobility bekannter machen. Ein weiteres Ziel ist es, die Stakeholder regelmässig an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam an Herausforderungen arbeiten zu können. Hier sehen wir, dass das heute noch zu isoliert stattfindet.

Wo stehen Sie mit UAMAS heute, bzw. welche Pläne haben Konturen angenommen und welche Aktivitäten konnten bereits umgesetzt werden?
Wir haben überraschend viel Zeit für den Wissensaufbau gebraucht, damit wir mit den Exponenten der Industrie einigermassen auf gleicher Augenhöhe sprechen können. Mitglieder zu gewinnen, war zu Beginn auch aufwändiger als gedacht. Oft wurde gefragt, wer dann die anderen Mitglieder sind und da konnten wir am Anfang leider nicht punkten.
Rückblickend gesehen hat sich aber trotzdem bereits viel bewegt. Wir haben unser Netzwerk aufgebaut, die Bedürfnisse unserer Mitglieder abgeholt und konnten bereits erste Exponenten verbinden. Als Beispiel: Einem institutionellen Risikokapitalgeber konnten wir einen Überblick über die Start-ups in der Schweiz und derer bevorstehenden Finanzierungsrunden geben, was schliesslich auch den Projekten selbst dient.
Wir wurden sogar nach London an eine spannende Konferenz eingeladen. Aber sicherlich unser persönliches Highlight: die NASA hat uns in ihre Arbeitsgruppe für das «Urban Air Mobility»-Ökosystem aufgenommen. Leider konnten wir am Kick-off in Washington Mitte März aufgrund des Corona-Virus nicht teilnehmen, aber wir freuen uns auf den internationalen Austausch und den Blick «über den Teich».
Und schliesslich ist die Diskussion in der Öffentlichkeit nun entfacht, auch dank der Fachpresse, wie Ihnen, die dies netterweise fördern.

Die UAMAS ist von der Zukunft der Lufttaxis überzeugt? Weshalb?
Wir haben ja in der Schweiz im internationalen Vergleich grundsätzlich eine hervorragend funktionierende Infrastruktur für den privaten und öffentlichen Verkehr. Die Topographie der Schweiz mit den vielen Seen und Bergen schränkt die Effizienz aber dennoch stark ein. Dank dem technologischen Fortschritt sei es in der Batterietechnologie oder im Bereich Künstliche Intelligenz, werden vollelektrische, autonome Lufttaxis bald Realität. Bei einer deutlichen Zeitersparnis verglichen mit alternativen Mobilitätsformen, sehen wir auch kommerziellen Erfolg. Das ist ein Grundkriterium für den Durchbruch. Für die Schweiz werden sinnvolle und auch lukrative Routen eher von Stadt zu Stadt, als denn innerstädtisch sein.

Urban Air Mobility wird u.a. als Ergänzung zum Transport auf den überfüllten Verkehrswegen der Metropolen gesehen. Wird damit das Problem in die Luft verlagert, oder kann dies eine tragfähige Mobilitätslösung für die Zukunft sein?
Allfällige Verkehrsprobleme in Metropolen werden wohl damit – aufgrund der fehlenden Kapazität – nicht gelöst. Es ist aber eine willkommene Ergänzung, wenn es mal schnell gehen muss. Wichtig ist, dass sich Lufttaxis zukünftig nicht nur Besserverdienende leisten können, sondern jede und jeder, aber natürlich nicht an jedem Tag. Grundschüler werden wohl damit nicht zur Schule gehen.

Was könnte mit den neuen Flugtaxis alles transportiert werden bzw. welchem Zweck könnten sie – abgesehen vom Personentransport – dienen?
Ein frühes und wichtiges Einsatzgebiet sehen wir in der Rettung von verletzten Personen und Patienten.

Welche infrastrukturellen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Urban Air Mobility realistisch wird?
Am Boden braucht es Landeplätze, so genannte Vertiports, die nahtlos an andere Verkehrsmittel angeschlossen sind und auch genügend Strom zur Verfügung haben; typischerweise nahe an Trafostationen. In der Luft geht es hauptsächlich darum, die verschiedenen Akteure in den Lufträumen zu managen.

Schliesslich muss auch die Gesetzgebung angepasst werden, damit überhaupt je ein Lufttaxi abheben kann. Wie nahe dran – oder weit davon entfernt – ist man davon heute?
Hier braucht es, nicht ganz überraschend, noch sehr viel Engagement und leider auch Geduld. Optimistisch stimmt uns, dass das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) sehr offen ist und bereits früh proaktiv den Austausch und Initiativen lanciert hat. So sind sie beispielsweise beim Entwickeln des Schweizer U-Space sehr aktiv oder unterstützen die Entwicklung dank Spezialgenehmigungen (Specific Operations Risk Assessment (SORA)). Gerade vor wenigen Wochen haben wir an einem Branchentreffen der Drone Industry Association Switzerland (DIAS) beim BAZL in Ittigen diese Offenheit wieder gespürt.

Welche Herausforderungen gilt es überdies noch zu bewältigen, ehe Urban Air Mobility in unseren Alltag integriert werden kann?
Da gibt es zahlreiche! Angefangen bei der weiterhin limitierenden Energieeffizienz, über die Kosten und der damit verbundenen Rentabilität, bis zur Akzeptanz in der Bevölkerung. Und last but not least: die Sicherheit. Sebastian Thrun, CEO eines Lufttaxi-Herstellers hat das treffend gesagt: «If we screw it up it would put it off for decades» (dt:«Wenn wir es vermasseln, verlieren wir Jahrzehnte»).

Thema Smart Mobility Services: Wie kann Urban Air Mobility mit anderen Verkehrsträgern zusammenspielen?
Gerade im öffentlichen Verkehr sehen wir viele Chancen. Lufttaxis könnten die berühmte «letzte Meile» ermöglichen oder schwach frequentierte Strecken ablösen. Frühmorgens steht dann am Bahnhof in Sion beispielsweise anstelle eines «Poschis» ein Lufttaxi bereit, um die ersten Wanderer zum Lac de Tseuzier zu bringen. Die heutigen Bahnhöfe werden ja immer mehr zu Mobilitätshubs entwickelt, wo eben viele Formen der Mobilität zusammenfliessen. Die SBB baut bereits seit über einem Jahr den Bereich «neue Mobilitätsdienstleistungen (NMD)» auf. Wir sind sehr gespannt, was da alles für Neuerungen kommen.

Wann und wo sehen wir die ersten autonomen Flugtaxis, die Menschen in Städten transportieren?
Vermutlich da, wo bereits heute Lufttaxi-Services mit Helikoptern etabliert sind, also in Metropolen, oder ein bisschen näher und ganz konkret: als Shuttle zwischen dem Flughafen Nizza und Monaco.

Wann werden in der Schweiz die ersten Flugtaxis unterwegs sein?
Das ist eine sehr schwierige Prognose, da der Zeitpunkt von extrem vielen Eventualitäten abhängt. Wir haben aber eine grosse Wette offen: wir sind überzeugt, dass autonome Lufttaxis vor vollautonomen Fahrzeugen unterwegs sein werden.

Herzlichen Dank für das informative Gespräch, Stefan Gygli.